Wie weit reicht das Notwehrrecht? Ein Urteil des Bundesgerichtshofs zu Kampfgeräuschen und Messerstichen.

Die Notwehr führt grundsätzlich zum Wegfall des Unrechts. Wer im Rahmen der Notwehr handelt, ist folglich nicht strafbar. Dies regelt § 32 StGB; ist eine Tat die erforderliche Verteidigung, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt man nicht rechtswidrig. 

Mit den Begriffen des gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs wird die sogenannte Notwehrlage beschrieben. Diese muss zum Zeitpunkt der Tat vorliegen. Hierzu muss die Verletzung rechtlich geschützter Interessen eines Menschen drohen. Zu diesen Interessen gehören etwa das Leben, die körperliche Unversehrtheit, das Eigentum oder die Freiheit. Die Verletzung muss zudem unmittelbar bevorstehen, gerade stattfinden oder noch fortdauern. Der Angriff muss auch im Widerspruch zur Rechtsordnung stehen, also rechtswidrig sein. Aus diesem Grund ist beispielsweise auch eine Notwehr gegen eine verübte Notwehr nicht möglich, da die vorausgehende Notwehr bereits gerechtfertigt ist. In solchen Konstellationen kann es sich schon gar nicht um einen rechtswidrigen Angriff handeln. 

Auch an die Verteidigungshandlung gegen den rechtswidrigen gegenwärtigen Angriff werden mehrere Voraussetzungen gestellt. Im Groben wird verlangt, dass die Tat eine erforderliche, geeignete und gebotene Verteidigung gegen den Angriff darstellt. Ist dies der Fall, handelt man im Rahmen der Notwehr und somit gerechtfertigt. 

Anders verhält sich dies bei der sogenannten Absichtsprovokation. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 17. Januar 2019 – BGH 4 StR 456/18 die Voraussetzungen einer solchen Provokation der Notwehr umfassend dargestellt. Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, der sich im Jahr 2017 am Dortmunder Hauptbahnhof abspielte. 

Der Beschuldigte befand sich dort mit seiner Lebensgefährtin. Als seine Lebensgefährtin in einem Wartehäuschen an einem Gleis urinierte und der Beschuldigte sich als Sichtschutz vor sie stellte, wurde er von einem Passanten darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Wartehäuschen nicht um eine Toilette handelte. Der Beschuldigte hatte daraufhin seinen Posten als Sichtschutz aufgegeben und begonnen, herumzuspringen und Kampfgeräusche von sich zu geben. Währenddessen hatte er auch unbemerkt ein Jagdmesser aus seiner Tasche gezogen. Der Passant, welcher ihn zuvor angesprochen hatte, fühlte sich durch das Verhalten des Beschuldigten provoziert und zu einem Angriff herausgefordert. Im Zuge dessen ging der Passant auf den Beschuldigten zu um ihm einen Schlag zu versetzen. Der Beschuldigte kam ihm allerdings zuvor und stieß dem Passanten mit seinem Messer in die Körperflanke. 

Die Verteidigung vor dem Landgericht Dortmund hatte argumentiert, dass es sich dabei um eine vom Notwehrrecht gerechtfertigte Tat handelte. Der Stich war zur Verteidigung erforderlich gewesen, da sich der Beschuldigte in einer Notwehrlage befand. Dieses Verhalten war auch geeignet um den Angriff abzuwehren, ein milderes Mittel habe es nicht gegeben. 

Der Bundesgerichtshof hatte im Zuge dessen die Voraussetzungen einer Notwehrprovokation zu prüfen und die Frage zu beantworten, ob der Beschuldigte den Angriff des Passanten mitverschuldet hatte. Konkret bedeutet dies, dass man einen Angriff zielstrebig herausfordert, um den Gegner unter dem Deckmantel einer äußerlich gegebenen Notwehrlage an seinen Rechtsgütern zu verletzen. Ist dies der Fall, müsse das Notwehrrecht des Beschuldigten eingeschränkt werden. 

Der Bundesgerichtshof hatte hierbei die Gelegenheit genutzt zu erklären, inwieweit eine Einschränkung vorgenommen wird. Eine vorsätzliche Provokation bedeutet keineswegs einen vollständigen und zeitlich unbegrenzten Entzug des Notwehrrechts. Vielmehr sind an das Notwehrrecht des Beschuldigten strengere Voraussetzungen zu stellen. 

Grundsätzlich gilt, dass man von seinem Notwehrrecht nicht bedenkenlos Gebrauch machen kann. Bei lebensgefährlichen Mitteln ist es erforderlich, zunächst die Möglichkeiten der Schutzwehr auszunutzen. Darunter fällt etwa das Ausweichen vor einem Angriff. Auf die Abwehr mit lebensgefährlichen Waffen, die sogenannte Trutzwehr, darf erst zurückgegriffen werden, wenn eine etwaige Schutzwehr keine Verteidigung ermöglicht. 

Je schwerer die vorwerfbare Provokation der Notwehrlage ist, umso höher sind die Anforderungen an die ausgeübte Verteidigungshandlung. Insbesondere muss derjenige, der die Notwehrlage provoziert, gefährliche Konstellationen vermeiden, indem er von einem weniger gefährlichen Abwehrmittel Gebrauch macht. Dabei muss er hinnehmen, dass dieses Mittel unter Umständen geringere Erfolgschancen hat. 

In der vorliegenden Konstellation hatte der Bundesgerichtshof auch dargelegt, dass die Frage nach der Erforderlichkeit des Messeeinsatzes durch den Beschuldigten zur Abwehr des Angriffs allein mit den Feststellungen zum Sachverhalt nicht beantwortet werden kann. Vielmehr ist es erforderlich, weitere Feststellungen zur räumlichen Lage zu dem Zeitpunkt, in dem der Passant auf den Beschuldigten zugegangen ist, zu treffen. Nur so kann beurteilt werden, ob das sofortige Zustechen in dieser Situation erforderlich gewesen ist. 

Hatte zwischen dem Beschuldigten und dem Passanten etwa eine größere räumliche Distanz geherrscht, wäre auch denkbar, dass der Beschuldigte seinen Messereinsatz zuvor lediglich androht. Dies würde einem weniger gefährlichen Abwehrmittel entsprechen und nach Feststellungen des Bundesgerichtshofs auch bei einer vorsätzlichen Notwehrprovokation vom Notwehrrecht gedeckt sein. 

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht aus Berlin

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Eine Antwort

  1. John Trevis sagt:

    statt: Messeeinsatzes
    besser: Messereinsatzes

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