Arzt unterstützt Patientin beim Suizid – straflose Teilnahme oder strafbare Tötung?

Die Abgrenzung der straflosen Teilnahme an einem freiverantwortlichen Suizid von der strafbaren Tötung einer anderen Person wird in Klausuren regelmäßig abgefragt.

In seiner aktuellen Entscheidung vom 03. Juli 2019 (5 StR 393/18) hat der Bundesgerichtshof nun seine Rechtsprechung zur Tötung auf Verlangen durch das Unterlassen von Rettungsbemühungen geändert, nachdem er sich mit der Frage befassen musste, ob das Mitwirken eines Arztes an dem freiverantwortlichen Suizid seiner Patientin lediglich eine straflose Teilnahme oder aber eine strafbare Tötung in mittelbarer Täterschaft, bei der das Werkzeug das Opfer selbst ist, bzw. eine Tötung durch Unterlassen darstellt.

Der Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde, der sich im Februar 2013 zugetragen hatte.

Die 44-jährige Patientin des Angeklagten litt seit ihrem sechzehnten Lebensjahr an einem unheilbaren und sehr schmerzhaften Reiz–Darm–Syndrom. Da ihre Lebensqualität aufgrund ihres Gesundheitszustands so stark eingeschränkt war, hatte sie schon mehrfach Suizidversuche unternommen. Schließlich wandte sie sich dann an den Angeklagten, ihren betreuenden Hausarzt, mit der Bitte, sie bei ihrer Selbsttötung zu unterstützen. Dieser entschloss sich seiner Patientin zu helfen, da er ihre lange Kranken- und Leidensgeschichte kannte und überzeugt davon war, eine Patientin, die er seit Jahren behandelt hatte, auch in einer solchen Situation nicht alleine lassen zu dürfen. Er übergab ihr deshalb das Medikament „Luminal“, ein sehr starkes Schlafmittel. Nachdem die Patientin dieses bei klarem Verstand und in vollem Bewusstsein darüber, was sie tat, eingenommen hatte, informierte sie den Angeklagten, der sich daraufhin wie zuvor vereinbart in ihre Wohnung begab. Dort fand er sie in einem tief komatösen Zustand in ihrem Bett vor. Der Angeklagte fühlte sich dem Sterbewunsch seiner Patientin verpflichtet, weshalb er sie bei ihrem Sterbeprozess begleitete und bis zu ihrem Tod keine Rettungsversuche unternahm.

Der Bundesgerichtshof verneinte im Ergebnis eine Strafbarkeit des Angeklagten.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei für die Abgrenzung einer straflosen Teilnahme an einem Suizid von der täterschaftlichen Tötung eines anderen maßgeblich, wer die Herrschaft über das zum Tode führende Geschehen ausübt. Da die Patientin, solange sie bei Bewusstsein war, allein die Herrschaft über das zu ihrem Tod führende Geschehen ausübte, indem sie selbst die ihren Tod verursachende Dosis der Medikamente einnahm, tötete sie sich selbst.

Dem Angeklagten könne die Selbsttötung auch nicht nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft zugerechnet werden, da die Patientin eine natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit besaß und ihre Entscheidung zum Suizid ohne Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizite gebildet und umgesetzt hatte.

Auch eine vollendete Tötung durch Unterlassen komme schon aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht, da nicht festgestellt werden konnte, dass das Leben der Patientin durch eingeleitete Rettungsmaßnahmen nach Einnahme des Medikaments mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können.

Eine versuchte Tötung durch Unterlassen scheide ebenfalls aus, da die Garantenstellung eines Arztes für das Leben seiner Patientin spätestens dann ende, wenn er vereinbarungsgemäß nur noch deren freiverantwortlichen Suizid begleitet. Der Angeklagte sei nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Patientin mithin nicht zu Rettungsbemühungen verpflichtet gewesen, da die freiverantwortliche Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Patientin eine Pflicht des Angeklagten zur Abwendung ihres Todes entfallen lassen habe. Eine solche Pflicht ergebe sich auch nicht aus § 323c Abs. 1 StGB, da ein freiverantwortlicher Suizid keinen Unglücksfall darstelle.

Mit dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof mithin seine umstrittene frühere Rechtsprechung hinsichtlich der Sterbehilfe beseitigt und sich ausdrücklich für ein stärkeres Selbstbestimmungsrecht von Patienten entschieden.

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Strafverteidiger in Berlin-Kreuzberg

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