Wenn der Strafverteidiger nicht erreichbar ist

Der Beschuldigte hat in jeder Lage des Verfahrens das Recht, sich des Beistandes eines Verteidigers zu bedienen. Verlangt er gegenüber der Polizei oder der Staatsanwaltschaft das Gespräch mit einem Verteidiger, darf der Beschuldigte nicht (weiter) vernommen werden. Die Beamten müssen dem Beschuldigten dabei unterstützen, einen Verteidiger telefonisch zu kontaktieren.

Doch was passiert, wenn der kontaktierte Verteidiger nicht erreichbar ist? Wie müssen sich die Beamten verhalten? Mit diesen spannenden Rechtsfragen hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Beschluss vom 19. Juni 2019 – 5 StR 167/19 befasst.

In dem vom BGH zu verhandelnden Fall wurde der Angeklagte als Beschuldigter von der Polizei zur Tat vernommen. Nach der Belehrung verlangte er, mit seinem Rechtsanwalt reden zu können. Die Polizeibeamten unterbrachen daraufhin die Vernehmung und versuchten vergeblich, den benannten Rechtsanwalt telefonisch zu erreichen. Dem Angeklagten wurde dann erlaubt, seinen Vater anzurufen, um den Rechtsanwalt von dem Strafverfahren in Kenntnis zu setzen.

Danach fragten die Beamten den Angeklagten, ob er nun Angaben zur Sache machen wolle. Der Angeklagte erklärte, dass er es nicht gewesen sei und von der Tat nichts wisse. Doch die Polizeibeamten fragten weiter nach und hielten dem Angeklagten die Ermittlungsergebnisse vor. Der Angeklagte antwortete auf die Fragen und bestritt weiterhin, die Tat begangen zu haben.

In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Berlin widersprach die Verteidigung der Verwertung dieser während der Vernehmung erlangten Angaben des Beschuldigten.

Der Angeklagte wurde vom Landgericht wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 2.352,16 € wurde angeordnet.

In der Revision rügte die Verteidigung, dass die Vernehmungsbeamten den Angeklagten auf den anwaltlichen Notdienst hätten hinweisen und nach Unterbrechung der Vernehmung eine weitere Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation hätte erfolgen müssen.

Einen Hinweis auf den anwaltlichen Notdienst hielt der BGH für entbehrlich, weil der Angeklagte bereits einen bestimmten Rechtsanwalt als Verteidiger benannt hatte. Die Ermittlungsbehörden seien in diesem Fall darauf beschränkt, dem Beschuldigten bei der Kontaktaufnahme mit dem benannten Rechtsanwalt zu helfen. Etwas anderes gelte nur, wenn der Beschuldigte zu erkennen gebe, dass er nach dem Scheitern der Kontaktaufnahme einen anderen Rechtsanwalt als Verteidiger wählen wolle.

Allerdings hätten die Polizeibeamten die Vernehmung nach der Rechtsprechung des BGH erst nach einer erneuten Belehrung des Angeklagten über sein Recht auf Hinzuziehung eines Verteidigers fortsetzen dürfen. Da eine erneute Belehrung unterblieben ist, waren die Angaben des Angeklagten unverwertbar.

Der BGH hat bereits mehrfach ausgeführt, dass die Vernehmung des Beschuldigten, der sich mit einem Verteidiger besprechen will, ohne eine vorangegangene Konsultation des Verteidigers nur fortgesetzt werden darf, wenn der Beschuldigte erneut auf sein Recht zur Herbeiziehung eines Verteidigers belehrt wird und sich der Beschuldigte mit der Fortsetzung der Vernehmung einverstanden erklärt.

Die Rechtsprechung des BGH erfüllt den wichtigen Zweck, dem Beschuldigten noch einmal sein Recht auf Verteidigerkonsultation zu verdeutlichen. Der Beschuldigte soll nicht denken, dass er den Verteidiger nur herbeiziehen darf, wenn dieser erreicht wird. Vielmehr muss der Beschuldigte auch nach einem fehlgeschlagenen Kontaktversuch wissen, dass er auf die Besprechung mit seinem Verteidiger warten darf und sollte, bevor er Angaben zur Sache macht.

Da das Landgericht sein Urteil aber nicht auf die Angaben des Beschuldigten in der polizeilichen Vernehmung gestützt hatte, hielt der BGH das Urteil trotz des erheblichen Fehlers der Polizeibeamten aufrecht.

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Strafverteidiger aus Berlin

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