Willkür bei Gericht – wenn Pflichtverteidiger zu Unrecht entpflichtet werden

Verteidigung bedeutet Konfrontation. Dies gilt natürlich nur, wenn zugunsten des Angeklagten alle Möglichkeiten der Strafprozessordnung ausgenutzt werden. Verteidiger, die das tun, haben es mit dem Gericht oft nicht leicht. Denn nicht jeder Richter behält bei ständiger Konfrontation mit Anträgen des Verteidigers einen kühlen Kopf. Mancher verliert sogar seinen juristischen Verstand, wie ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 23.09. 2015 – 2 StR 434/14 zeigt.

Was genau passierte: Der Verteidiger der Angeklagten stellte wenige Tage vor Beginn der Hauptverhandlung einen Antrag auf ergänzende Akteneinsicht. Nachdem ihm die Akten in der Folgezeit nicht zugesandt wurden, beantragte er die Aussetzung des Verfahrens – ohne Erfolg. Das Verfahren fand statt und gleich am ersten Hauptverhandlungstag passierte etwas, was förmlich nach Befangenheit schreit. Der Vorsitzende Richter entpflichtete den Verteidiger aufgrund mangelnder Zuverlässigkeit mit der Begründung, er habe nicht zeitig nach Anklageerhebung, sondern erst wenige Tage vor dem Termin sein ergänzendes Akteneinsichtsgesuch gestellt. Zusätzlich legte er ihm die Kosten für den ersten Hauptverhandlungstag auf. Der Verteidiger ließ dies nicht auf sich sitzen und erhob erfolgreich Beschwerde beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main, das die Verfügung und Kostenentscheidung des Vorsitzenden Richters aufhob. Die Hauptverhandlung musste also erneut durchgeführt werden.

Gleich im zweiten ersten Hauptverhandlungstag stellte der Verteidiger dann einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter. Dieses Ablehnungsgesuch wurde jedoch vom Landgericht Frankfurt am Main (ohne Mitwirkung des Vorsitzenden Richters) als unbegründet zurückgewiesen. Für das Landgericht war nicht ersichtlich, dass die Entbindungs- oder Kostenentscheidung des Vorsitzenden willkürlich oder von sachfremden Erwägungen beeinflusst war.

Die Entscheidung des BGH: Der BGH, der daraufhin in der Revision mit der Sache betraut war, sorgte nun für Recht und Ordnung, indem er feststellte, dass das Ablehnungsgesuch gegenüber dem Vorsitzenden Richter zu Unrecht zurückgewiesen wurde.

Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit: Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit richtet sich nach § 24 Abs. 2 StPO. Sie findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein solches Misstrauen gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zur Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine Haltung ein, die dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Beurteilt wird dies vom Standpunkt des Ablehnenden. Der BGH hat in seiner Entscheidung darauf hingewiesen, dass sich die Besorgnis der Befangenheit nicht allein mit einer fehlerhaften Sachbehandlung begründen lässt. Vielmehr stellen Verfahrensverstöße, die auf einem Irrtum oder auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruhen, nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund dar. Ein Verfahrensfehler führt nur dann zu einem Befangenheitsgrund, wenn die Entscheidung unvertretbar ist oder den Anschein der Willkür erweckt.

Willkürliche Entscheidung wegen Missachtung des Zwecks der Pflichtverteidigung: Bevor der BGH seinen Kollegen Willkür oder unvertretbare Entscheidungen unterstellt, muss natürlich einiges passieren. In diesem Fall schien es dem BGH jedoch nicht schwer zu fallen, die Besorgnis der Befangenheit anzunehmen. Dabei stützte er sich in seiner Begründung vor allem auf den Zweck der Pflichtverteidigung, der darin besteht, dem Beschuldigten einen Beistand zu sichern und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu sichern. Wird die Bestellung des Pflichtverteidigers ohne wichtigen Grund widerrufen, so berührt dies nach Ansicht des BGH die Verteidigungsbelange des Angeklagten „auf das stärkste“. Demzufolge müssen für die Entpflichtung des Verteidigers Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung ernsthaft gefährden. Diese sah der BGH in der, wie er selbst sagt, angeblich verspäteten Stellung des Akteneinsichtsgesuchs nicht. Auch die Begründung, der Antrag hätte den Verfahrensablauf gefährdet, vermochte ihn nicht vom Gegenteil zu überzeugen. Um es mit den treffenden Worten des BGH auszudrücken, konnte diese Begründung vielmehr lediglich „den Eindruck erwecken, es handele sich um einen nur vorgeschobenen Grund, mit dem das Ziel verfolgt wurde, einen missliebigen, weil unbequemen Verteidiger aus dem Verfahren zu entfernen“. Die Angeklagte konnte nach dieser Machtdemonstration des Richters zu Recht befürchten, dass er auch in einer anderen Situation zu ihren Lasten sachfremd agieren könnte.

Für den Fall bedeutet das wohl eine dritte erste Hauptverhandlung. Denn die Mitwirkung eines Richters, der zu Unrecht nicht für befangen erklärt wurde, stellt einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 3 StPO dar und führt zur Aufhebung des Urteils.

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht aus Berlin

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