Money Makes the World Go Round: Wie schnell aus einem Anwalt ein Fußballspieler wird, wenn das Geld für korrekte Übersetzungen knapp ist

Ein Gastbeitrag von Igor Plotkin, Fachdolmetscher für Russisch aus Dortmund*

Wie oft geht man als Prozessbeteiligter zu einer Verhandlung, in der sich herausstellt, dass jemand nur mangelhaft Deutsch spricht? Vorher ist es nicht aufgefallen, weil beim Anwaltstermin ein Verwandter dolmetschte und ggf. im korrekten Deutsch am Schriftverkehr teilnahm… Dann wird auf die Schnelle jemand zum Dolmetschen angerufen, meistens sind es die Übersetzungsbüros, die – selbstverständlich, wie denn sonst? – alle Sprachen von qualifizierten Muttersprachlern anbieten. Aber darf man denn das? Klares NEIN!

Nach Allgemeinen Verfügungen der Landesjustizministerien, gestützt auf die Vorschriften des AGGVG, führen die Oberlandesgerichte ein gemeinsames Verzeichnis der allgemein beeidigten Dolmetscher und ermächtigten Übersetzer. Das Verzeichnis wird im Justizportal des Bundes und der Länder veröffentlicht. Die Service-Einheiten der Gerichte und Staatsanwaltschaften müssen bei der Auswahl von Dolmetschern und Übersetzern grundsätzlich auf dieses Verzeichnis Zugriff nehmen.

Denn der Sinn und Zweck der Regelungen, nach welchen ausschließlich die beeidigten Dolmetscher und ermächtigten Übersetzer geladen werden dürfen, ist ja die Sicherstellung einer fehlerfreien Übertragung des gesprochenen bzw. geschriebenen Wortes. Die Voraussetzungen für die Beeidigung und Ermächtigung sind z. B. „die erforderliche persönliche Zuverlässigkeit“ und „fachliche Eignung“ aufgrund der Ausbildung, an deren Ende ein Diplom oder eine staatliche Prüfung steht. Allgemein beeidigte Dolmetscher und ermächtigte Übersetzer gelten somit als sprachliche Sachverständige, die ihre rechtssprachliche Kompetenz und ihre persönliche Integrität, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit einbringen. Sie haben ihre Unbedenklichkeit durch Führungszeugnis und die Auszüge aus dem Schuldner- und dem Insolvenzverzeichnis und ihre Fähigkeiten und Sprachkenntnisse durch entsprechende Prüfungen nachgewiesen. Außerdem geht es um den Datenschutz und die Haftung – ermächtigte Übersetzer und beeidigte Dolmetscher haben einen Eid geleistet und haften ggf. persönlich. Die Büros übernehmen grundsätzlich keine Haftung.

Neulich durfte ich einer Verhandlung des örtlichen AG beiwohnen, in der eine junge Dame dolmetschte, die laut Informationen auf der Webseite des von der Geschäftsstelle beauftragten Übersetzungsbüros gerade ihre Berufsausbildung zur Bürokauffrau macht und weder beeidigt noch ermächtigt ist, jedoch nach eigenen Angaben bereits die Anklageschrift in dieser Sache übersetzt hatte, ohne dazu ermächtigt gewesen zu sein.

Die Dame machte klassische, indes teilweise schwerwiegende Anfänger-Fehler, die eindeutig darauf schließen lassen, dass Jura nicht unbedingt ihr Metier ist. So wurde der Rechtsanwalt zum Abwehrspieler (защитник anstatt адвокат), immerhin beides „Verteidiger“. Ein Realschulabschluss wurde zum Abitur erklärt, weil man ja danach studieren könne (закончил 10 классов и поступил в ВУЗ -> nach der 10. Klasse, also nach dem Realschulabschluss, zur Uni gegangen). Die Sozialstunden wurden zu den „sozialen Stunden (социальные часы)“, mithin (so die anschließende Erklärung) zu den Stunden, die man etwa in einem Schwimmbad zum ermäßigten Preis beanspruchen kann, „Happy Hour“ für sozialschwache Bevölkerungsschichten, analog Sozialticket. Die Pointe folgte aber erst am Schluss der Sitzung, als der Richter befürchtete, einen unvollständigen Akt gehabt zu haben (gemeint war die Akte :-)). (War meine Akte etwa nicht vollständig? -> у меня что, был неполный акт?) Der Angeklagte tat mir leid, aber was hätte ich tun können? Ich war ja „nur“ die Öffentlichkeit…

Bei der Polizei versucht man indes zu sparen, wenn es um die Dolmetscher und Übersetzer geht, denn es gebe ja auch im Hause so viele Polizisten mit Migrationshintergrund, die der Fremdsprachen mächtig sein wollen und somit als Dolmetscher und Übersetzer agieren… Wozu denn neue Kosten produzieren?

Neuerdings habe ich bei einem Polizeipräsidium gedolmetscht und rein zufällig einige auf Russisch “übersetzte” Formulare zu Gesicht bekommen, u. a. die der Beschuldigtenbelehrungen. Da wurde ich baff, als ich sah, dass es statt “rechtskräftig Verurteilte” – “rechtmäßig Verurteilte” (законно осужденные) hieß. Es mag ja tatsächlich unrechtmäßig Verurteilte geben, in der Übersetzung war der Sinn des Originals jedoch eindeutig verfehlt. Statt “sich an einen Verteidiger wenden” hieß es “sich an einen Abwehrspieler respektive einen Beschützer wenden” (обратиться к своему защитнику – scheint ein beliebter Fehler bei den russischen Kollegen zu sein, denn es sind ja beides Verteidiger 🙂 ).

Statt “Sie als Betroffener” stand in der Belehrung eines Beschuldigten (!) “Sie als Täter (Вы как нарушитель)” – (die Unschuldsvermutung lässt grüßen), statt “Ihnen wird die Straftat vorgeworfen” – “Sie haben die Straftat begangen (Вы совершили преступление)”, statt “Gegen Sie werden Strafverfahren geführt” – “Sie werden Beteiligte eines Strafverfahrens sein, in dem es eine Anklage geben wird (Вы будете проходить по уголовному делу с обвинением)”, bloß in welcher Rolle man beteiligt sein wird, verschweigt die Übersetzung, usw., usf. … Und das waren nur die ganz groben Patzer, die indes etwa 10 % von der Gesamtzahl der Fehler ausmachten.

Tja, bei einem ermächtigten Übersetzer und beeidigten Dolmetscher wäre so etwas bestimmt nicht passiert, aber auch in der Justiz gilt wohl: money makes the world go round…


*Igor Plotkin ist Fachdolmetscher für Russisch, allgemein beeidigter Dolmetscher und vom Präsidenten des Oberlandesgerichts Hamm ermächtigter und IHK-geprüfter Übersetzer für die russische Sprache. Igor Plotkin arbeitet in Dortmund.

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9 Antworten

  1. @ Traductora: „Wie wäre es, wenn wir uns alle mal weigern würden, bei den Gerichten oder bei der Polizei oder bei den Behörden überhaupt zu dolmetschen?“

    Interessanter Gedanke… Und mit welcher Begründung?

  2. @ Erika: Es gibt ja Verteidiger und Verteidiger. 🙂 (Btw: Wikipedia ist bei allem Respekt nicht die zuverlässigste Quelle)

    Natürlich kann man einen Advokaten auch den Verteidiger nennen, da muss es aber unbedingt einen Bezug geben – Strafverteidiger (защитник в уголовном процессе), Verteidiger des Angeklagten (защитник обвиняемого/подсудимого) udgl. Ein schlichtes „Verteidiger“ reicht partout nicht aus, im Gegensatz halt zu einem Abwehrspieler oder einem Beschützer, die man ohne weiteres auch Verteidiger nennt.

  3. @ Rosemarie: Es stimmt, es kommt vermehrt vor, dass die Kriminalbeamte mit Sprachkenntnissen den Dolmetschern “reinfuschen”. Über solche Hilfsdolmetscher gab’s neuerdings einen Artikel bei der Allgemeinen Zeitung Rhein-Main (http://bit.ly/1vjo3qi). Grausam…

    Neulich hab ich so etwas bei einem Kunden erlebt (ein größeres Unternehmen der freien Wirtschaft), der behauptete, die Sekretärin sei gebürtige Russin, also könne sie auch übersetzen. Im Nachhinein auf die eben haarsträubenden Fehler hingewiesen musste er jedoch zurückrudern und kleinlaut zugeben, dass nicht alle Leute, die eine Fremdsprache sprechen, selbst die mit einem Migrationshintergrund, per se auch übersetzen können. Das war allerdings ein Wirtschaftsunternehmen, das a priori wirtschaftlich und effizient im Sinne der Kosten-Nutzen-Relation agieren muss. Bei der Polizei sollten die Schwerpunkte m. E. jedoch woanders liegen…

  4. Dirk Noren sagt:

    @Erika Rubinstein
    Wikipedia ist immer ein guter Ansatzpunkt, selten eine gute (zuverlässige) Quelle.
    Da posten Hinz und Kunz, die „Ahnung haben“ können, aber nicht müssen.

  5. Traductora sagt:

    Einen solchen Fall kenne ich auch. Da ging es um die Übersetzung eines Migrationsführers. Als wir uns mit der zuständigen Behörde in Verbindung gesetzt haben, hieß es nur: „Ja, das sind Muttersprachler und die können das. Für professionelle Übersetzer haben wir kein Geld.“ Ich sage mal so: Wenn wir professionellen Dolmetscher und Übersetzer nicht wären, würde bei den Behörden bzw. bei Gericht und Polizei nämlich gar nichts laufen. Wie wäre es, wenn wir uns alle mal weigern würden, bei den Gerichten oder bei der Polizei oder bei den Behörden überhaupt zu dolmetschen? Dann würden sie aber ganz schön dumm gucken.

  6. Rosemarie Bonilla sagt:

    Das ist ja haarsträubend! Dass Kriminalbeamte mit Sprachkenntnissen dem Dolmetscher „reinfuschen“, habe ich selbst erlebt. Unser Beruf ist eben noch immer nicht geschützt und solange sich da nichts ändert, kann jeder als Dolmetscher arbeiten. Hier wäre endlich einmal de BDÜ gefragt!

  7. Ja und ja 🙂

    Da haben die ermittelnden Beamten sofort drauf reagiert und mich gebeten, die Fehler und meine Verbesserungsvorschläge schriftlich festzuhalten. Mit dem schriftlichen Appell sind wir dann zusammen (!) an die Leitung des Kommissariats herangetreten und es wurden sofortige Schritte versprochen. Mehrere Wochen sind seitdem ins Land gegangen. Passiert ist offensichtlich nichts, denn gestern hab ich die gleichen Formulare mit den gleichen Formulierungen zu Gesicht bekommen dürfen.

    Also ja, die geistern immer noch dort rum, die Beschuldigten nennt man da immer noch die Täter und dabei dürfen sie immer noch von den Abwehrspielern verteidigt werden…

  8. Moskaufreund sagt:

    Sehr interessanter Beitrag! Haben Sie die Polizisten auf die grob falsche Übersetzung der Beschuldigtenbelehrung hingewiesen? Oder geister die noch immer dort rum?

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