Rezension: Bosbach – Verteidigung im Ermittlungsverfahren
In mittlerweile 8. Auflage führt Jens Bosbach, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, in dem von Matthias Weihrauch begründeten Werk „Verteidigung im Ermittlungsverfahren“ in die Praxis der Strafverteidigung im Vor- bzw. Ermittlungsverfahren ein – aus der Perspektive eines Rechtsanwalts und ausdrücklich für Rechtsanwälte.
Unmittelbar vor dem ersten Mandantenkontakt wird der Leser an die Hand genommen und über die Vereinbarung einer angemessenen Vergütung, die Entwicklung und Umsetzung einer Verteidigungsstrategie bis zu einer erfolgreichen Verfahrenseinstellung (bzw. der Vorbereitung der Hauptverhandlung) geführt und dabei um allerhand Klippen herumgeschifft. Stets liegt der Schwerpunkt weniger auf der Kommentierung der relevanten StPO-Vorschriften, sondern auf deren Anwendung und Nutzung in der Praxis. Der Autor plädiert in der Regel für eine im Sinne des Mandanten liegende konsensuale Lösung von Verfahrensproblemen und das Suchen des Gesprächs mit der Staatsanwaltschaft, wobei er auch einige „Tricks“ vermittelt, wie der wenig redefreudige Staatsanwalt doch zur Kooperation bewegt werden kann.
Gerade die ersten knapp 230 Seiten (Übernahme des Mandats, Die ersten Tätigkeiten des Verteidigers, Das Verschaffen von Informationen, Die Verteidigungsstrategie) sowie die letzten knapp 40 Seite (Die Vergütung) sind ein im besten Sinne des Wortes lehrreicher und ungemein unterhaltsamer – obgleich nie humorvoller – Lesegenuss.
In meinen Augen geht in diesem Teil das Konzept, kein Handbuch und erst recht keinen Kommentar, sondern ein Praxislehrbuch zu liefern, besonders gut auf. Und hätte der Autor in einem weiteren den vorherigen Abschnitten in der Länge entsprechenden Kapitel die „klassischen“ Praxisprobleme bei der Verteidigung gegen Zwangsmaßnahmen ebenso abgehandelt, wäre es ein perfektes Buch. Doch leider wird das gute Konzept des ersten Teils über Bord geworfen und an die Praxiseinführung ein Kurzkommentar zu den wichtigsten Zwangsmaßnahmen (Durchsuchung, Sicherstellung und Beschlagnahme, Führerscheinmaßnahmen, Maßnahmen gegen die persönliche Freiheit, Maßnahmen gegen die Person, Überwachung von Personen durch Personen, Überwachung von Personen durch Angriffe auf Telekommunikationsvorgänge und -Daten (§§ 100a fff. StPO) sowie Überwachung der Person durch andere technische Mittel) geklebt, der nach meiner Ansicht einen anderen Adressatenkreis hat, angesichts zahlreich vorhandener Kommentarliteratur zu Zwangsmaßnahmen nur geringen Mehrwert liefert und in dem sich Fehler der Ermittlungsbehörden – wie der Autor selbst betont – regelmäßig ohnehin nicht positiv für den Mandanten auswirken. Zudem geht die Schwerpunktsetzung innerhalb dieses Abschnitts ein Stück weit an der Praxis vorbei, wenn der Verteidigung gegen Führerscheinmaßnahmen nur vier Seiten gewidmet werden und z. B. der Verteidigung gegen die Überwachung von Personen durch Angriffe auf Telekommunikationsvorgänge und -Daten 76 Seiten. Auf welche Zwangsmaßnahme wird der Berufsanfänger zuerst stoßen?
Es kommt hinzu, dass der Autor die Idee hatte, seine Hinweise zur Tätigkeit des Verteidigers als „Straftatermittler“ innerhalb von Unternehmen (also als Unternehmensanwalt), in das Buch aufzunehmen. Auch wenn dies nicht zum klassischen Ermittlungsverfahren gehört und für sich genommen den Inhalt eines Buches füllen könnte (S. 116), ist dieser Exkurs sicher nicht falsch. Zu kritisieren ist jedoch, dass er eher lieblos in das bestehende Werk integriert worden ist, wodurch ehemals überleitende Sätze nun hilflos im Raum stehen (S. 115 Rn. 177). Darüber hinaus finden sich in den genannten Abschnitten zahlreiche leere Sätze wie: „Nur wer im strafprozessualen Bereich erfahren ist und auch weiß, wie strafrechtliche Verfahren gegen natürliche Personen ablaufen, ob und inwieweit eine Verurteilungswahrscheinlichkeit besteht und in welcher Form sich Strafverfahren auch für das Unternehmen […] auswirken können, kann eine fundierte qualitativ hochwertige Arbeit in diesem Bereich anbieten.“ Wer mag das bestreiten?
Insgesamt hätte dem Werk, gerade aber dem Abschnitt über Zwangsmaßnahmen, eine gründliche Straffung gut getan. Wer das Buch von vorn nach hinten liest, wird an wenigstens drei Stellen (Rn. 64, 96, 298) ausführlich und teilweise wortgleich erfahren, in welchen Fällen vom Grundsatz „Ohne Akteneinsicht keine Einlassung“ abgewichen werden kann. Der vom umgebenden Text abgehobene Praxishinweis zu Mauterfassungssystemen ist ebenfalls zweimal identisch abgedruckt (Rn. 545, 562). Über die fünf Seiten zu europäischen und internationalen Einflüssen auf das Ermittlungsverfahren, denen ein eigener Teil gewidmet ist, wollen wir ohnehin schweigen.
Die Folge des nun großen Umfangs des Werkes sind allerhand Tipp-, Wortstellungs- und sonstige Flüchtigkeitsfehler, die durchaus den Schluss auf eine Bearbeitung unter Zeitdruck erlauben. Ein schönes Beispiel ist der Satz: „Zuständig für eine Sperrerklärung, welche eine für das Gericht nachvollziehbare unverständliche Begründung erhalten muss, ist lediglich die oberste Dienstbehörde“ (Rn. 422).
Es entsteht der Eindruck, dass das Werk einen Umfang erreicht hat, den ein einzelner Autor – gerade aus der Praxis, das heißt ohne die an Universitäten zahlreich vorhandenen Mitarbeiter – offenbar nicht mehr mit der nötigen Genauigkeit bearbeiten kann. So wird auf Rechtspflegestatistiken verwiesen, die mehr als 10 Jahre alt sind (S. 3) und auch der Rat, der Verteidiger solle „in geeigneten Fällen seinem Antrag auf Akteneinsicht eine leere Videokassette […] zwecks Anfertigung der Kopie“ beilegen, dürfte – so umgesetzt – für helle Begeisterung auf der Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft sorgen.
Ebenso harren die zahlreichen Schriftsatzbeispiele einer Überarbeitung. Beispielsätze wie „Genau ein solches Provozieren lag – wie bereits dargetan – eindeutig vor!“, „Eine Gesamtschau aller Umstände ergibt somit, dass der eingangs gestellte Antrag mehr als begründet ist.“ oder „Der insoweit nicht recht verständliche Hinweis der Anzeigerseite auf Vorstrafen des Beschuldigten (woher kennt die Anzeigenerstattterin etwaige Vorstrafen ?!) vermag daran nichts zu ändern.“ (vgl. Rn. 316, Hervorhebungen KS, Satzzeichen im Original) und aus der Mode gekommene Begriffe wie „Telekopien“ (Rn. 456) sind nicht das Ende der Fahnenstange.
Dennoch: Es ist ein wirklich tolles Buch, mit dem man sich ein wunderbares Wochenende bereiten kann (und als strafverteidigender Berufsanfänger unbedingt sollte), dessen praktischer Nutzen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann und das das Ermittlungsverfahren und dessen Möglichkeiten für eine sachgerechte Verteidigung aus dem Nischendasein holt, das ihm viele noch immer zuschreiben.
Verteidigung im Ermittlungsverfahren
Jens Bosbach
8., neu bearbeitete Auflage 2015
445 Seiten, Softcover
ISBN 978-3-8114-6025-6
Reihe: Praxis der Strafverteidigung
C.F. MÜller
49,99 €
Hinweis: Das rezensierte Buch wurde vom C.F. Müller Verlag zur Verfügung gestellt. Es kann hier
versandkostenfrei bestellt werden.
Update 05. März 2015: Ich habe noch einen Beleg für die wenig sorgfältige Weiterführung des Buches gefunden: Die 114 im Literaturverzeichnis zitierten Bücher und Aufsätze sind im Durchschnitt 25,9 Jahre alt, erschienen also im Mittel zu einer Zeit, als durch Deutschland noch eine Grenze ging. Nur jede dritte Quelle ist aus diesem Jahrtausend, das für dieses Werk produktivste Jahrzehnt waren die 1980er Jahre (31 Verweise). Zudem stört, dass Bosbach sogar die Werke der Schriftenreihe „Praxis der Strafverteidigung“, in der auch die „Verteidigung im Ermittlungsverfahren“ erscheint, nicht in der aktuellen Auflage zitiert: z. B. „Verteidigung in Steuerstrafsachen“ von Quedenfeld und Füllsack, „Verteidigung von Ausländern“ von Schmidt sowie „Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren“ von Stern. Dies legt den Schluss nahe, dass die Verweise im Rahmen der Neubearbeitung auch nicht geprüft worden sind.