Kein Recht auf Akteneinsicht bei offenem Haftbefehl?
Für die Vorbereitung und Gestaltung der bestmöglichen Strafverteidigung ist die Einsicht in die Ermittlungsakten geradezu unerlässlich. Daher wird sich ein Verteidiger stets möglichst früh um eine Akteneinsicht bemühen. Das Recht des Verteidigers auf Akteneinsicht ergibt sich maßgeblich aus § 147 StPO. Aus Absatz 2 ergibt sich aber auch, dass dem Verteidiger vor dem Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen die Einsicht in die Akten oder einzelne Aktenteile versagt werden kann, soweit dies den Untersuchungszweck gefährden kann.
Eine solche Gefährdung kann unter Umständen eintreten, wenn durch die Gewährung der Akteneinsicht Informationen über die bereits durchgeführten oder noch geplanten Ermittlungsmaßnahmen in irgendeiner Weise an den Beschuldigten gelangen können, sodass dieser dem Erfolg der Maßnahmen noch entgegenwirken kann. Dies könnte der Fall sein, wenn der Beschuldigte von einem gegen ihn erlassenen Haftbefehl Kenntnis erlangt und dann rechtzeitig vor der drohenden Festnahme untertaucht.
Vor diesem Hintergrund hat das Oberlandesgericht (OLG) München mit Beschluss vom 22. Januar 2019 – 2 Ws 51/19 401 Ws GStA 16/19 b – erneut entschieden, dass der Verteidiger des Beschuldigten in einem laufenden Ermittlungsverfahren überhaupt keinen Anspruch auf Akteneinsicht hat, solange ein gegen einen untergetauchten Beschuldigten bestehender Ergreifungshaftbefehl noch nicht vollstreckt ist. Ebenso wenig habe der Verteidiger Anspruch auf Mitteilung des Haftbefehls.
In dem vorliegenden Verfahren hatte der Verteidiger aber bereits Kenntnis über das Bestehen des Haftbefehls, gegen den er Beschwerde erhob. Die Beschwerde und die weitere Beschwerde blieben jedoch erfolglos. Das OLG München stellt in seinem Beschluss klar, dass das zuständige Amtsgericht zutreffend einen dringenden Tatverdacht sowie die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Verdunkelungsgefahr angenommen habe. Die vollständig verweigerte Akteneinsicht sei zu Recht erfolgt. Darin liege keine Verletzung des Beschuldigten in seinem Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs und einer effektiven Verteidigungsmöglichkeit. Denn schon das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, dass ein derartiges „vorläufig gegenüber dem Beschuldigten abgeschirmtes Ermittlungswissen der Strafverfolgungsbehörden“ unter den konkreten Umständen verfassungsrechtlich unbedenklich sei. Diese hätten den Auftrag, den Sachverhalt zu erforschen und die Wahrheit zu finden. Dem Informationsinteresse des Beschuldigten werde insbesondere durch die Regelungen zur richterlichen Vernehmung hinreichend Rechnung getragen, in der der (festgenommene) Beschuldigte dann über den Tatvorwurf informiert und umfangreich über seine Rechte belehrt werde.
Trotz dieser Entscheidung könnte unter Umständen in manchen Fällen unter Berücksichtigung des konkreten Verfahrensstandes aber auch eine zumindest eingeschränkte Akteneinsicht in Betracht kommen. Spätestens zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der erfolgten Freiheitsentziehung dürften dem Verteidiger die Akten kaum mehr vorenthalten werden können. Immerhin weist auch das OLG München darauf hin, dass das nach der richterlichen Vernehmung für die Überprüfung des Haftbefehls zuständige Strafgericht dann auch zu beurteilen habe, welche Rechtsfolgen sich möglicherweise aus einer Verweigerung der Akteneinsicht ergeben.