Zu den Anforderungen an die konkrete Gefahr bei den Straßenverkehrsdelikten
Der Bundesgerichtshof (BGH) beschäftigte sich in seinem Beschluss vom 20. Mai 2025 (4 StR 168/25) mit den Straßenverkehrsdelikten. Dem Beschluss lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Nach den Feststellungen des Landgerichts entschloss sich der Angeklagte, mit einem Pkw auf dem Parkplatzgelände eines Schnellrestaurants auf den 15 Meter entfernt stehenden und auf ihn aufmerksam gewordenen Zeugen A. zuzufahren, um sich für einen an ihm zuvor begangenen körperlichen Übergriff zu rächen. Hierzu fuhr er unter starker Beschleunigung ruckartig an und beschleunigte das Fahrzeug „stark“, während er auf sein anvisiertes und ihm zugewandtes Opfer zusteuerte, um eine Kollision mit diesem herbeizuführen. Dabei rechnete er mit der Möglichkeit, den Zeugen lebensgefährlich zu verletzen, und nahm dies billigend in Kauf. Aufgrund des „schnellen“ Erkennens der Absichten des Angeklagten gelang es dem Zeugen, „rasch“ zu reagieren und zur Seite in eine mit Steinen befüllte Einfassung zu springen. Das von dem Angeklagten gelenkte Fahrzeug passierte den Zeugen in einer Entfernung von weniger als einem Meter. Sodann vollzog der Angeklagte eine Schleife über leere Parkflächen und steuerte ein weiteres Mal auf den Zeugen zu. Dieser stellte sich hinter einen in der Einfassung stehenden Baum, so dass er sich in keiner für ihn lebensgefährlichen Position mehr befand. Der Angeklagte fuhr erneut am Zeugen vorbei, der daraufhin zur Verhinderung weiterer Anfahrversuche einen Backstein durch die hintere Seitenscheibe des Pkw warf. Anschließend wurde er von einer Mitarbeiterin in das Gebäude gezogen. Diese verriegelte die Eingangstür und rief die Polizei. Der Angeklagte informierte wegen des Steinwurfs ebenfalls die Polizei und blieb bis zu deren Eintreffen vor Ort.
Das LG verurteilte den Angeklagten wegen schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Die gegen das Urteil durch den Angeklagte Revision hatte Erfolg.
Nach Auffassung der Karlsruher Richter sei zunächst rechtlich nicht zu beanstanden, dass sich das LG zur Frage eines strafbefreienden Rücktritts (§ 24 Abs. 1 StGB) vom Versuch der gefährlichen Körperverletzung nicht verhalten habe, weil der festgestellte und belegte Sachverhalt hierzu nicht dränge. Zwar habe die Strafkammer weder ausdrückliche Feststellungen zum Rücktrittshorizont des Angeklagten getroffen noch sonst aus den von ihr getroffenen Feststellungen Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der (letzten) Ausführungshandlung gezogen. Jedoch gestattete die vorliegend festgestellte objektive Sachlage sichere Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Angeklagten. Danach liege ein fehlgeschlagener Versuch vor. Denn der Angeklagte sei zweimal vergeblich auf sein angestrebtes Opfer zugefahren, das sich zunächst durch einen Sprung zur Seite und sodann hinter einem Baum vor einer Kollision schützen konnte, bis es endgültig durch eine Mitarbeiterin im Restaurantgebäude in Sicherheit gebracht werden konnte. Unter den gegebenen Umständen sei es fernliegend, dass der von dem Schnellrestaurant bis zum Eintreffen der Polizei ausharrende Angeklagte das Misslingen seines Handelns nicht erkannt habe.
Die Feststellungen belegen indessen die Annahme einer vollendeten Tat nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB vorausgesetzte Herbeiführung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert nicht, so der BGH.
Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr erfordere, dass die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt habe, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen sei – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wäre, dass es im Sinne eines „Beinahe-Unfalls“ nur noch vom Zufall anhänge, ob das Rechtsgut verletzt werde oder nicht. Für die Annahme einer konkreten Gefahr genüge es daher nicht, dass sich Menschen oder Sachen in enger räumlicher Nähe zum Täterfahrzeug befunden haben. Umgekehrt werde die Annahme einer solchen Gefahr aber auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Schaden ausgeblieben sei, weil sich der Gefährdete – etwa aufgrund überdurchschnittlich guter Reaktion – noch zu retten vermochte. Auch wenn an die insoweit zu treffenden Feststellungen und die zugrundeliegende Beweiswürdigung keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürften und deshalb genaue Angaben zu Entfernung, Geschwindigkeit oder Bremsverzögerungen keine notwenige Bedingung für eine ausreichende Sachverhaltsbeschreibung seien, müsse sich aus den Darlegungen im Urteil aber gleichwohl hinreichend deutlich ergeben, dass es zu einer hochriskanten Situation gekommen sei. Dabei könne es von indizieller Bedeutung sein, dass zur Vermeidung eines Schadensfalls alle vorhandenen technischen Möglichkeiten der beteiligten Fahrzeuge ausgeschöpft (Vollbremsung) oder gefährliche, weil nicht mehr kontrollierbare, Ausweichmanöver vorgenommen werden mussten. Gleiches gelte, wenn massive Kontrollverluste eingetreten seien.
Nach diesen Maßstäben genügen die Feststellungen des LG´s, nach Auffassung des BGH´s, nicht den Anforderungen zur Darlegung einer konkreten Gefahr für die körperliche Integrität des Zeugen. Denn den Urteilsgründen lasse sich – auch in ihrem Gesamtzusammenhang – nicht entnehmen, dass es zu einer Gefahrenlage in dem dargelegten Sinn gekommen sei. Insbesondere dürfe unter den hier gegebenen Umständen nicht offenbleiben, wie weit sich das Fahrzeug des Angeklagten auf der 15 Meter langen Zufahrt dem Zeugen angenähert habe, als dieser zur Seite sprang. Denn der Zeuge sei dem Fahrzeug des Angeklagten zugewandt gewesen und habe bereits aufgrund des ruckartigen Anfahrens in seine Richtung die Absichten des Angeklagten erkannt. Danach habe er „rasch“ reagiert und sei in die ihn schützende Einfassung gesprungen. Dies lasse die Möglichkeit offen, dass der Zeuge noch rechtzeitig und ohne hohes Eigenrisiko auszuweichen vermochte. Der Umstand, dass der Angeklagte mit seinem Fahrzeug sodann in einer Entfernung von weniger als einem Meter an dem nunmehr – zumindest relativ – gesicherten Zeugen vorbeigefahren sei, belege unter diesen Umständen die Annahme eines Beinnahe-Unfalls nicht.
Dies führte zur Aufhebung der Verurteilung, die sich auch auf die für sich genommene rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen der tateinheitlich begangenen versuchten gefährlichen Körperverletzung erstrecke.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht in Berlin-Kreuzberg

