Wer hat Lust, 120 DVDs mit Telefonmitschnitten bei der Kriminalpolizei zu hören?

Zunächst hatte ich ja herzlich gelacht über den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 29. Mai 2012. Doch als ich die Entscheidung zu Ende gelesen hatte, musste ich feststellen, dass das gar kein Witz war. Die meinen das ernst.

Es gab eine ganze Weile Streit, ob zur Ermittlungsakte nur das gehört, was auf Papier geschrieben steht – so der allgemeine Verständnis von einer Akte, oder auch Videos, Tonaufnahmen, digitale Bilder, die im Rahmen der Ermittlungshandlungen entstanden sind. Zurecht ist es mittlerweile einhellige Ansicht, dass die Form der Perpetuierung keine Rolle spielen kann. Insbesondere sind Audiodateien (z. B. infolge von TKÜ-Maßnahmen) Aktenteile, die der Einsichtnahme nach § 147 unterliegen und hierfür als Kopie zur Verfügung zu stellen sind (OLG Stuttgart, NJW 2003, 767; OLG Frankfurt a. M., StV 2001, 611; BayObLG 1990, 128 = NJW 1991, 1070).

Einen neuen Weg will jetzt das OLG Karlsruhe (Entscheidung vom 29.05.2012 – 2 Ws 146/12) beschreiten. Es hat entschieden, dass der Verteidiger keinen Anspruch auf Erstellung einer Kopie von Audiodateien, die das Ergebnis von TKÜ-Maßnahmen beinhalten, habe. Dies soll darauf beruhen darauf, dass durch die Erstellung einer Datenkopie der Eingriff in Persönlichkeits- und Datenschutzinteressen unbeteiligter Dritter vertieft und auch die Einhaltung der die Sicherung der Angemessenheit des Grundrechtseingriffs dienenden Vorschriften, insbesondere hinsichtlich der Löschung der aufgezeichneten Gespräche gemäß § 101 Abs. 8 StPO erschwert werde. Das versagte Recht auf eine eigene Kopie des Audiomaterials wird also z.T. damit begründet, dass man zur selben Zeit das – vielleicht gar entlastende Material – nicht löschen könne.

Für eine sachgerechte Verteidigung würde es genügen, die auf – in diesem Fall 120 – DVDs gespeicherten Audiomitschnitte während der üblichen behördlichen (!) Arbeitszeiten (werktags zwischen 08.30 Uhr und 17.00 Uhr). bei der Kriminalpolizei anzuhören.

Das dürfte nicht nur mit den sonstigen Aufgaben des Strafverteidigers zur selben Zeit (u. a. Hauptverhandlungen, Besuche in der JVA) kollidieren, sondern eine ganz besondere organisatorische Kompetenz erfordern, schließlich darf (!) der Beschuldigte sowie ein Dolmetscher ebenfalls (gleichzeitig) anwesend sein. Allein das Durchhören des Materials dürfte nach Rechnung von Meyer-Mews (NJW 2012, 2743) 17-23 Arbeitstage dauern – wobei Meyer-Mews in seiner Rechnung offenbar von CDs statt DVDs ausgeht.

Und erst die anderen Verfahren: „Herr Verteidiger, wie schaut es bei Ihnen bezüglich des Fortsetzungstermins in der kommenden Woche aus?“ – „Tut mir leid, in den nächsten zwei Monaten bin ich stets bis 17.00 Uhr bei der Kriminalpolizei zum Hören. Vor 08.30 Uhr hätte ich noch etwas frei. Und am Wochenende.“

Ich nehme an, das OLG hat sich beim Abfassen der Beschlussgründe auch köstlich amüsiert.

Update 17.09. 21.45 Uhr:

In Reaktion auf den Kommentar von meine5cent habe ich die von Meyer-Mews und nun auch von mir zitierten Entscheidungen rausgenommen.

An der Bewertung der Entscheidung ändert sich aber dennoch nichts: „Die Art der Konservierung der verfahrensbezogenen Informationen ist unerheblich. Insbesondere besteht ein Recht zur Einsicht in Computer-Dateien, die solche Informationen enthalten – die Dateien sind Bestandteil der Akten. Das Akteneinsichtsrecht bezieht sich auch auf Ton- und Bildaufnahmen, soweit der Vorwurf in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht (auch) auf sie gestützt wird.“ (Löwe-Rosenberg § 147 Rdn. 29.)

Falls jemand eine obergerichtliche Rechtsprechung zum Thema Audio-Dateien kennt, kann das doch mal im Kommentar posten.

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2 Antworten

  1. Danke fürs Nachlesen. Sie hatten recht, es war natürlich ein Blindzitat. Ich sehe mir das morgen mal an.

  2. meine5cent sagt:

    Die Besprechung von Herrn Meyer-Mews (der Sie vermutlich die Zitate zur angeblich einhelligen Meinung, Videos seien Aktenbestandteil und generell zu überlassen, entnommen haben) strotzt vor (bewussten, weil interessegeleiteten?) Fehlzitaten. Eine solche angeblich einhellige obergerichtliche Rechtsprechung zu Audiodateien gibt es nicht.
    BayOBLG: Betraf Video in einer OWi-Sache. Von Aktenbestandteil steht darin nichts. Sondern nur, dass dem Verteidiger ausnahmsweise und keineswegs generell wegen der Entfernung Kanzlei-Polizeiverwaltungsamt eine Aufzeichnung zu übersenden war und er nicht auf Einsicht in die Beweismittel bei der Behörde verwiesen werden durfte.
    OLG Frankfurt a.M. : Betraf Audios, aber es schreibt ebenfalls klar, dass die grundsätzlich als Beweismittel anzusehen sind, die auf der Geschäftsstelle ab gehört werden können.Art und Weise der Einsichtnahme bestimmt nicht der Senat, sondern die zuständige Kammer. Also nix mit Aktenbestandteil und einhelliger Meinung.
    Und OLG Stuttgart betraf den Sonderfall einer Videoaufzeichnung nach 58a StPO, wobei diese Entscheidung inzwischen gesetzlich durch Neuregelung in 58a Abs. 2 S. 4 ohnehin überholt ist. Im Gegenteil könnte man aus dieser Norm sogar schließen, daß in anderen Fällen als denen des § 58a dem Verteidiger eben gerade keine Aufzeichnung zu überlassen ist.

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