Wenn vergessen wird, dem Angeklagten das letzte Wort zu erteilen

Es gibt ihn fast überall, den Streit um das letzte Wort. Nur im Strafprozess steht fest, wer das letzte Wort bekommt. Es ist nach § 258 Abs. 2 StPO der Angeklagte. Bevor sich das Gericht zur Urteilsbesprechung zurückzieht, muss der Angeklagte die Möglichkeit haben, das Gericht mit seinem letzten Wort von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen. Wird das letzte Wort nicht erteilt, liegt darin ein Verfahrensfehler, der nahezu in allen Fällen zur Aufhebung des Urteils führt.

In der Praxis passiert es selten, dass das Gericht gänzlich vergisst, dem Angeklagten das letzte Wort zu erteilen. Was allerdings immer wieder vorkommt ist, dass dem Angeklagten das letzte Wort erteilt wird und das Gericht im Anschluss noch einmal in die Verhandlung eintritt, ohne dem Angeklagten erneut das letzte Wort zu erteilen.

Eine solche Konstellation lag auch in dem vom Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 5. Februar 2019 – 3 StR 469/18 entschiedenen Fall vor.

Hier erhielt der Angeklagte in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Verden am 1. März 2018 das letzte Wort. Anschließend wurde die Hauptverhandlung unterbrochen und nach 10 Minuten fortgesetzt. Danach wurde die Sach- und Rechtslage erörtert und die Hauptverhandlung nochmals unterbrochen. Eine Woche später wurde die Hauptverhandlung fortgesetzt und das Urteil verkündet, ohne dass dem Angeklagten erneut das letzte Wort gewährt worden war.

Der BGH sah darin einen Verstoß gegen § 258 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO und hob die Verurteilung des Angeklagten zu einer zehnjährigen Freiheitsstrafe wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung auf.

Das Landgericht Verden hätte dem Angeklagten erneut das letzte Wort erteilen müssen, da dessen früheren Ausführungen mit dem Wiedereintritt in die Verhandlung ihre Bedeutung als abschließende Äußerung verloren hatten.

Da das Landgericht nach dem letzten Wort des Angeklagten die Sach- und Rechtslage erörtert hatte, ging der BGH von einem Wiedereintritt in die Verhandlung aus. Denn die Erörterung der Sach- und Rechtslage bezieht sich auf Fragen, die für die Entscheidung in der Sache relevant sind. Anders hat die Rechtsprechung für die Entgegennahme eines Hilfsbeweisantrages oder die Ersetzung eines Pflichtverteidigers nach dem letzten Wort entschieden, da hier kein Wiedereintritt in die Verhandlung vorliegen soll.

Zudem konnte der BGH nicht ausschließen, dass das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruht. Der Angeklagte hatte die Vorwürfe von vorneherein bestritten. Es war demnach nicht ausgeschlossen, dass er bei einer erneuten Erteilung des letzten Wortes Angaben gemacht hätte, die sich zu seinen Gunsten ausgewirkt hätten.

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Strafverteidiger aus Berlin

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