Keine Bewährung trotz erstmalig verbüßter Strafhaft – Kammergericht rügt Landgericht Berlin

Wenn es darum geht, eine Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, muss sich das Gericht immer die Frage stellen, ob dem Verurteilten eine positive Sozialprognose gestellt werden kann. Es muss also prüfen, ob der Betroffene sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird. In diese Prognoseentscheidung muss das Gericht die Persönlichkeit des Betroffenen, sein Vorleben und seine Vorstrafen, die Umstände der Tat, das Verhalten des Betroffenen nach der Tat und seine Lebensverhältnisse in die Gesamtwürdigung einbeziehen. Sprechen gewichtige Umstände für die Annahme eines künftig straffreien Lebens des Betroffenen, muss das Gericht die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen.

Von großer Bedeutung für die Strafaussetzung zur Bewährung ist auch, ob der Betroffene bereits Strafhaft verbüßt hat. Insbesondere bei Menschen, die sich erstmals in Strafhaft befinden und als sogenannte Erstverbüßer bezeichnet werden, ist eine Inhaftierung in der Regel besonders abschreckend und hat einen Warneffekt.

Dass Gerichte und Staatsanwaltschaften diesem Umstand oft nicht die ihm zustehende Bedeutung zumessen, erlebt man als Strafverteidiger häufig. Es verwundert daher nicht, dass das Kammergericht kürzlich eine Entscheidung des Landgerichts Berlin aufgehoben hat, weil sich dieses bei der Sozialprognose nicht mit der Frage der erstmaligen Inhaftierung des Angeklagten auseinandergesetzt hatte.

Der Angeklagte war vom Amtsgericht Tiergarten wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. In der Berufung setzte das Landgericht Berlin die Freiheitsstrafe auf fünf Monate herab, versagte dem Angeklagten aber die begehrte Strafaussetzung zur Bewährung. 

In seinem Beschluss vom 28. Februar 2019 – (3) 161 Ss 20/19 (11/19) hob das Kammergericht die Entscheidung des Landgerichts auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.

Zur Begründung führte das Kammergericht aus, dass das Landgericht sich bei der Bewährungsentscheidung nicht mit dem Umstand der erstmaligen Verbüßung der Strafhaft des Angeklagten in einer anderen Sache auseinandergesetzt habe, zumal der Angeklagte die Freiheitsstraße nach der abgeurteilten Tat angetreten und bereits 11 Monate von ihr verbüßt hatte.

Nach der Rechtsprechung des Kammergerichts lässt der von der Strafhaft ausgehende Warneffekt bei einem Erstverbüßer allgemein erwarten, dass das Erlebnis der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe seine Wirkung nicht verfehlt und den Betroffenen dazu befähigt, künftigen Tatanreizen zu widerstehen. Diesen Grundsatz müssen Strafgerichte berücksichtigen und mit starken Gegenargumenten entkräften, wenn sie eine Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung aussetzen wollen.

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Strafverteidiger aus Berlin-Kreuzberg

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