Der Trompetenspieler (Raub vs. Räuberische Erpressung – wesentliche Abgrenzungsprobleme) – Lösungsvorschlag Teil 1

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Gestern habe ich folgenden kleinen Fall in die Runde gegeben:

A ist professioneller Trompetenspieler. Kurz vor einem wichtigen Auftritt verliert A das Mundstück für seine Trompete. Um den Termin nicht absagen zu müssen, geht er zu einem befreundeten Musiker B und bittet ihn, ihm das Mundstück für den Auftritt zu leihen. Leider hat B am selben Abend einen ebenso wichtigen Auftritt und verweigert daher die Herausgabe seines Mundstücks. A ist wütend und schlägt den B nieder. Sodann nimmt er das Mundstück an sich. Nach dem erfolgreichen Auftritt steckt er das Mundstück – wie von Anfang an geplant – in den Briefkasten des B.

Heute möchte ich mich an einer Lösung versuchen. Auf geht’s.

Zu denken ist zunächst an § 249 I StGB. Raub. Der Tatbestand klingt im Gesetz so:

Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

Im objektiven Tatbestand müssen somit 4 Voraussetzungen erfüllt sein.

1. fremde bewegliche Sache
2. Wegnahme
3. mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben
4. Finalzusammenhang

Die Punkte 1. und 2. sind unproblematisch. Das Mundstück des B ist eine für A fremde bewegliche Sache und A hat sie dem B auch weggenommen.

Unter 3. entscheiden wir uns für die Variante „Gewalt gegen eine Person“, schließlich schlägt A den B nieder. Man mag hier noch kurz definieren, dass Gewalt gegen eine Person der dem Opfer vermittelte Zwang (das Niederschlagen) zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstands (das potenzielle Festhalten des Mundstücks) ist.

Unter 4. muss nun noch der sog. „Finalzusammenhang“ festgestellt werden, also dass der A den B gerade zum Zweck der Wegnahme niedergeschlagen hat.

Der objektive Tatbestand des § 249 I ist erfüllt.

Der subjektive Tatbestand besteht – wie auch beim Diebstahl, § 242 I StGB – aus zwei Komponenten.

1. Vorsatz
2. Absicht der rechtswidrigen Zueignung

A hat vorsätzlich gehandelt.

A müsste aber auch in Zueignungsabsicht gehandelt haben. Die besteht auch wieder aus zwei Komponenten, der Aneignung und der Enteignung. Hinsichtlich der Aneignung braucht man Absicht (dolus directus 1. Grades), hinsichtlich der Enteignung genügt Eventualvorsatz (dolus eventualis). Daher ist es günstig, gleich von Aneignungsabsicht und Enteignungsvorsatz zu sprechen.

A hat sich das Mundstück mit Absicht angeeignet. Hierfür genügt es, dass er das Mundstück nur für einen Abend behalten wollte.

Aber hatte er auch hinsichtlich der Enteignung des B wenigstens Eventualvorsatz? Wohl kaum.

Enteignungvorsatz ist der Vorsatz, den Berechtigten dauerhaft aus seiner Position zu verdrängen. Berechtigter ist hier der B, da er Eigentümer des Mundstücks ist.

A wollte den B nicht dauerhaft aus seiner Besitzerposition verdrängen. Er wollte (und hat) dem B ja das Mundstück zurück(ge)geben.

Der subjektive Tatbestand des § 249 I ist somit nicht erfüllt. Eine Strafbarkeit wegen Raubes scheitert somit.

A hat sich nicht wegen Raubes, § 249 I StGB, strafbar gemacht.

Das war der erste, noch relativ unkomplizierte Teil der Lösung. Morgen folgt Teil 2!

Ich hoffe, hiermit einen kleinen Einblick in den Raubtatbestand gegeben zu haben.

Wenn ihr eine Erklärung vermisst oder etwas unklar geblieben ist, könnt ihr gern einen Kommentar hinterlassen. Ich versuche dann, die Lösungsskizze zu ergänzen. Wichtig ist, dass der Text keine Klausurlösung ist, denn dafür ist er zu schnodderig und es fehlen ein paar Definitionen und Obersätze. Auch müsste man noch einmal über die Schwerpunktsetzung nachdenken. Es war mir wichtig, einen Einblick in die Struktur des Raubtatbestands zu geben. Ich hoffe, das ist gelungen. In diesem Sinn führe ich die Lösung morgen fort.

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8 Antworten

  1. @Jones

    Danke für den Hinweis. Hast du für diese Ansicht eine Fundstelle? Nach meiner Erinnerung kommt es für das Ablehnen der Enteignung nur darauf an, ob der Berechtigte die Sache möglichst zeitnah ohne ins Gewicht fallende Wertminderung zurückerlangt, es sei denn, die Wiedererlangung hat für den Berechtigten keinen Sinn mehr (s. Weihnachtsbaumfall). Hier hatte die Rückerlangung für den B durchaus Sinn – s. Replik auf Carsten.

    Fraglich ist allerdings, ob es für ein Mundstück zumindest nicht unüblich ist, dass an ihm einem anderen ein unentgeltliches Nutzungsrecht eingeräumt wird, d.h., ob der B dem A das Mundstück auch hätte verleihen können. Musiker sind zwar etwas empfindlich, wenn es um ihre Mundstücke geht. Aber grundsätzlich ist es wohl nicht völlig unüblich, dass man jemandem für einen Auftritt sein Mundstück leiht. Wie sich nun darauf die Situation auswirkt, dass B selbst einen Auftritt hat, das Mundstück also nie verleihen würde, weiß ich nicht. Vor allem müsste man einmal klären, ob es bei dem o.g. Argument um die konkrete oder generelle Möglichkeit des Verleihens der Sache geht.

  2. @Carsten

    Dass B selbst einen Auftritt hat, scheint tatsächlich problematisch zu sein. Danke für den Hinweis. Vielleicht müsste man diese Klippe zukünftig herausnehmen.

    Ich würde jedoch nicht von verschiedenen „Sachwerten“ der gleichen Sache ausgehen. Schließlich würde das bedeuteten, dass Gegenstände je nach Nähe zu einem Ereignis einen unterschiedlichen Wert aufweisen können. Was gilt dann für die Auftrittskleidung, den Dämpfer, die Noten etc.?

    Den Vergleich mit dem Weihnachtsbaum würde ich auch anders auflösen. Der Weihnachtsbaum ist nach Weihnachten tatsächlich nutzlos und wird es wohl nicht bis zum nächsten Weihnachten überleben. Auf die Abnutzung Abnutzung (rieselnde Nadeln..) muss man da gar nicht eingehen.

    Das Mundstück erfüllt einen Tag später und bei allen folgenden Konzerten noch den gleichen Zweck.

  3. @Debe

    1) wenn A das Mundstück verändert, verliert es seinen Wert -> Enteignung -> Raub
    2) Wer Opernkarten nach der Vorstellung zurückgibt, gibt zwar die Sache selbst zurück, aber eben nur als „leere Hülle“. Den in den Opernkarten verkörperten Sachwert entzieht er dem Opfer. also: Enteignung; Dass er sich die Vorstellung nicht ansieht, hat keine Auswirkung auf die Enteignung. Schließlich geht es ja bei der Enteignung um die „Wirkung“ auf das Opfer.. daher wird übrigens auch nur Eventualvorsatz gefordert.
    3) Wer nur behauptet, er wolle die Sache zurückgeben, dem wird sicher nicht geglaubt werden. Vor Gericht würde das wohl als bloße Schutzbehauptung gewertet werden. Es sei denn, der Täter kann das ganze gut beweisen. Wenn die Sache bereits zurückgegeben wurde, ist das für den Täter um einiges besser. Nicht vergessen werden darf aber: unabhängig von der noch ausstehenden Bewertung, ob evtl. räuberische Erpressung vorliegt, ist ja noch die Körperverletzung in jedem Fall mit dabei.

  4. @morphium

    In diesem Fall läge eine Enteignung vor. Voraussetzung ist nämlich, dass das Opfer die Sache innerhalb angemessener Zeit und ohne ins Gewicht fallende Wertminderung (z.B. durch Abnutzung) wiedererlangt.

  5. Jones sagt:

    Ich denke, dass ein Raub durchaus unter folgendem Gesichtspunkt möglich und zumindest zu problematisieren ist:

    Enteignungsvorsatz liegt regelmäßig auch bei Rückführungswille des Täters vor, wenn er das Opfer durch die Gebrauchsanmaßung dazu „zwingt“, sich Ersatz zu beschaffen (so wohl auch bei der Weihnachtsbaum-Gebrauchsanmaßung, wenn der Baum nach dem 24.12. zurückgegeben wird). In Anbetracht dessen, dass auch B am selben Abend ein Konzert geben sollte, musste er sich ein Ersatzmundstück beschaffen, sodass der subjektive Raubtatbestand erfüllt sein kann.

  6. Carsten sagt:

    Wenn ich mich da an den Weihnachtsbaumdiebstahl zurückerinnere, dann war dort mit der Entwertung eine Enteignung in der Lösung von jones begründet worden.

    Der aktuelle Wert vor dem Auftritt des B ist mithin deutlich höher als der reine Sachwert und damit fand auch eine teilweise Enteignung statt. Verkürzt den Fall natürlich unschön, aber sollte trotzdem angesprochen werden.

    @morphium: Die Grenze ist was der Beschuldigte beweisen kann. Eine Rückgabe vor der Verhandlung/Verhaftung ist plausibel, eine reine Absichtsbekundung nicht.

  7. Debe sagt:

    Ich habe schon erwartet, dass Raub ausscheidet – da gab es doch den „Weihnachtsbaum-Fall“
    https://www.strafrechtsblogger.de/mitquizzen-mit-halbwissen-der-baumdieb-putzkescheinfeld-strafprozessrecht-gewinnen-frage-33/2009/12/
    Dennoch frage ich mich wie auch „morphium“, wo die Abgrenzung zu ziehen ist. Sei als Beispiel genannt, dass das Mundstück (fiktiv) ein wenig zu groß für des Täters Trompete ist und ein Rand abgefeilt werden muss, wodurch es für den Eigentümer A an dessen Trompete unbrauchbar wird. Ist dann die Rückgabe eines (zerstörten) Gegenstands noch ausreichend, um Raub auszuschließen? Noch schlimmer (in Bezug auf Nutzen des zurückgegebenen Gegenstands): B stiehlt/raubt/entnimmt dem A Opernkarten und gibt diese erst nach Ende der vorgesehenen Vorstellung zurück: Wäre das „Enteignung“ (egal, ob B sich die Vorstellung ansieht oder nicht)?
    Wenn B in kurzer Folge nach Entnahme des Mundstücks, aber vor der vorgesehenen Verwendung und vor Rückgabe einen Hausbesuch seiner Freunde und Helfer bekäme, könnte er alleine mit der Behauptung „ich wollte es heute abend zurückgeben“ eine Strafbarkeit wegen Raub vermeiden? Wie plausibel muss dazu seine Aussage sein? (Ich erlaube mir mal, die Frage hier zu wiederholen, da sie unter o.g. Post keine Antwort bekommen hat und vielleicht übersehen wurde).
    Grüezi – debe (Jura-Laie)

  8. morphium sagt:

    Und wo ist die Grenze? Wenn ich vorhabe, ihm sein Mundstück in 10 Jahren wiederzugeben, ist es dann immer noch kein Raub?

    morphium

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