Zu den Anforderungen an den vollendeten gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 StGB)
Der Bundesgerichtshof (BGH) setzte sich in seinem Beschluss vom 07. Mai 2024 (4 StR 82/24) mit der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und den Anforderungen an den Tatbestand des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 StGB). Dem Beschluss lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte seit dem Jahr 2020 an einer paranoiden Schizophrenie mit religiösen Wahnideen und paranoidem Erleben. Am Abend des 3. November 2022 saß er auf dem Gehweg einer Anliegerstraße. Als sich die Zeugin C. mit ihrem Pkw diesem Straßenabschnitt nähere, betrat er die Gegenfahrspur. Hierbei hielt er eine zuvor aufgenommene und knapp 10 kg schwere Gehwegplatte in der Größe von 90x20x7,5 cm in den Händen. Nach Bemerken des Beschuldigten reduzierte die Zeugin ihre Geschwindigkeit auf 20 km/h in der Annahme, dieser wolle die Fahrbahn überqueren. Als sie sich mit ihrem Pkw ca. 1 bis 2 m vor ihm befand, hob der Beschuldigte die Gehwegplatte einer imperativen Stimme Allahs folgend auf Kopfhöhe hoch und warf sie gegen den Pkw. Dabei nahm er eine erhebliche Verletzung der Fahrzeugführerin billigend in Kauf. Die Gehwegplatte traf gegen die (linke) A-Säule des Pkw und verursachte dort sowie an der infolge des Aufpralls zerborstenen Windschutzscheibe einen Sachschaden von ca. 10.000,00 €. Die körperlich unverletzt gebliebene Zeugin wendete ihr Fahrzeug und fuhr zu dem inzwischen wieder auf dem Gehweg sitzenden Beschuldigten zurück. Sie konfrontierte ihn mit seinem Verhalten, worauf er äußerte, dass er sie töten und ihr den Kopf abschneiden werde, was er mit einer Handbewegung entlang seines Halses bekräftigte. Anschließend wartete er mit der Zeugin geduldig auf das Eintreffen der von dieser verständigten Polizei. Zum Tatzeitpunkt war die Unrechtseinsicht des Beschuldigten aufgrund eines akuten Schubes der paranoiden Schizophrenie aufgehoben.
Das Landgericht hat die Handlungen des Beschuldigten als gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB) in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in der Begehungsvariante mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) und Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) sowie tatmehrheitlich hierzu als Bedrohung (§ 241 Abs. 2 StGB) gewürdigt. Seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es – sachverständig beraten – auf die Prognose gestützt, dass bei dem Beschuldigten eine „hohe bis sehr hohe Wiederholungsgefahr für weitere ähnlich gelagerte Straftaten“ bestehe und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Gegen das Urteil legte der Beschuldigte mit Erfolg Revision ein.
Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) halte rechtlicher Überprüfung nicht stand, so der BGH. Als Begründung führten die Karlsruher Richter insoweit aus, dass sich die Urteilsgründe nicht dazu verhalten, ob der Beschuldigte vom Versuch der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zurückgetreten sei. Die Anordnung der Maßregel sei nur zulässig, wenn der Täter allein wegen mangelnder Schuldfähigkeit nicht bestraft werden könne; nicht jedoch, wenn er mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch zurückgetreten sei. Denn der Wille, die Tat nicht zur Vollendung gelangen zu lassen oder den Erfolg abzuwenden, nehme dem Verhalten des Täters in der Regel seine besondere Gefährlichkeit. Ein freiwilliger Rücktritt vom Versuch sei auch nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil der Zurücktretende schundunfähig gewesen war.
Die Urteilsgründe sollen sich zu der Frage eines möglichen Rücktritts nicht verhalten haben. Es fehle an Feststellungen zu der Vorstellung des Beschuldigten nach seiner (letzten) Ausführungshandlung (sog. Rücktrittshorizont). Darlegungen zum Vorstellungsbild haben sich allerdings schon deshalb aufgedrängt, weil nach dem mitgeteilten Sachverhalt die Fahrzeugführerin infolge des Schadensereignisses den Pkw sogleich wendete, zum Beschuldigten zurückfuhr und ihn mit seinem Verhalten konfrontierte, ohne dass es daraufhin zu weiteren körperlichen Angriffen seinerseits gegen ihre Person gekommen sei. Daher bleibe offen, ob der Körperverletzungsversuch fehlgeschlagen, unbeendet oder beendet war. Dies durfte indes nicht dahinstehen, da im Fall eines unbeendeten Versuchs der Beschuldigte gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB bereits durch freiwilliges Abstandnehmen von weiteren Ausführungshandlungen strafbefreiend zurückgetreten wäre.
Letztes wäre für die Bewertung der Gefährlichkeit des Verhaltens des Beschuldigten von erheblicher Bedeutung. Der Senat vermöge daher – trotz der weiteren für eine Gefährlichkeit des Beschuldigten sprechenden Umstände – nicht auszuschließen, dass es im Fall der Annahme eines Rücktritts zu einer anderen Bewertung der Gefährlichkeitsprognose gekommen wäre. Die Sache bedürfte deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Tatsachenfeststellungen zu ermöglichen, seien bei dem vorliegenden einheitlichen Geschehen sämtliche Feststellungen aufzuheben.
Schließlich wies der Senat für die Hauptverhandlung daraufhin, dass die Annahme eines vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr voraussetze, dass die Tathandlung (Wurf mit der Gehwegplatte) über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus zu einer kritischen Verkehrssituation geführt habe, in der eines der genannten Individualrechtsgüter im Sinne eines „Beinaheunfalls“ so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Der Tatbestand des § 315b Abs. 1 StGB könne dabei auch erfüllt sein, wenn die Außeneinwirkung – wie hier – unmittelbar zu einer konkreten Gefahr (Beschädigung des Pkw) führe. In diesem Fall sei aber erforderlich, dass es sich insoweit um eine verkehrsspezifische Gefahr handelt. Dies setzte voraus, dass die Gefahrverursachung – jedenfalls auch – auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte (Dynamik des Straßenverkehrs) zurückzuführen sei. Die bisher getroffenen Feststellungen sollen dergleichen nicht belegen. Zwar habe der Beschuldigte durch den Wurf mit der Gehwegplatte im Sinne des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB in die Sicherheit des Straßenverkehrs eingegriffen. Die Fahrzeugführerin konnte jedoch den beschädigten Pkw weiterhin sicher beherrschen. Nach den Feststellungen wendete sie diesen nach dem Aufprall und fuhr zum Beschuldigten zurück. Soweit die Tathandlung unmittelbar zu einem Sachschaden am Pkw führte, könne den hierzu getroffenen Feststellungen nicht entnommen werden, dass diese Beschädigung auch auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen sei.
Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer werde sich auch genauer als bisher mit dem – natürlichen – Vorsatz des Beschuldigten zu befassen haben. Im Fall eines (versuchten) gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 2 StGB) müsse der Tatvorsatz bzw. Tatentschluss auch auf die Verursachung einer konkreten verkehrsspezifischen Gefahr gerichtet sein. Könne die Willensrichtung dafür entscheidend sein, ob sich die Handlung des Täters als eine die Unterbringung gemäß § 63 StGB begründende Verhaltensweise darstelle oder nicht, müsse insbesondere der innere Tatbestand erörtert werden, soweit dies nach dem psychischen Zustand des Täters möglich sei. Dabei werde zu beachten sein, dass es der Annahme eines natürlichen Tatvorsatzes nicht entgegenstehe, wenn der Täter infolge seines Zustands Tatsachen verkenne, die jeder geistig Gesunde richtig erkannt hätte. Vorstellungsausfälle, die auf der psychischen Erkrankung beruhen, beeinträchtigen zwar die Verantwortlichkeit des Täters, führen aber nicht dazu, dass die sonst vorhandenen inneren Tatbestandsmerkmale verneint werden müssten, so der BGH.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht in Berlin-Kreuzberg

