Wenn alle Beschuldigten ihre Rechte kennen würden, würde das System zusammenbrechen

Die Tage hatte ich ein interessantes Gespräch mit einem Richter des Amtsgerichts Tiergarten aus Berlin. In diesem Gespräch wies ich darauf hin, dass viele nicht anwaltlich vertretene Beschuldigte gar nicht wissen, welche Rechte sie haben. Hierauf meinte der Richter, dass, wenn alle Beschuldigten ihre Rechte kennen und auch wahrnehmen würden, das System zusammenbrechen würde. Die Arbeitsbelastung für das Strafsystem würde erheblich zunehmen. Wahrscheinlich hat der Richter Recht, da dann in jedem Verfahren zunächst Akteneinsicht durch einen Anwalt genommen werden würde und im Anschluss daran weitere Ermittlungen geführt werden müssten. Mit schnellen Geständnissen wäre dann nicht mehr zu rechnen.

Traurig ist nur, dass die Unwissenden und die Mittelosen deshalb Gefahr laufen, härter oder überhaupt bestraft zu werden, als Beschuldigte, die ihre Rechte kennen und über genügend finanzielle Mittel verfügen.

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Anwalt für Strafrecht aus Berlin

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9 Antworten

  1. noname sagt:

    Nun ist es aber auch so, dass bestimmte Rechte eben nur mittels eines Verteidigers ausgeübt werden können (Akteneinsicht). Es nützt folglich gar nichts, wenn der Beschuldigte sein Recht kennt, sich einen solchen aber nicht leisten kann. Nicht jeder Unverteidigte ist dumm oder unfähig zu lesen ?

  2. vdht sagt:

    Zitat Lexus:
    „Würden alle Richter und Staatsanwälte ihren Job ordentlich und fair ausüben, bräuchte man auch keine Strafverteidiger.“

    Wie Wahr.
    Ich sag nur: Nicht vom Amtsrichter unterschriebene Durchsuchungsbescheide.
    Da (normal) nicht zulässig, wen dafür „haftbar“ machen ?
    Die „Beamten“ vor Ort ? Den Amtsrichter der seine Unterschrift „vergessen“ hat ?

  3. Lexus sagt:

    Als Rechtsanwalt ist man ja eher selten dabei, wenn unverteidigte Angeklagte vor dem Richter stehen. Aber in der Regel ist es ja nicht so, dass Staatsanwalt und Richter einen Unschuldigen ungerechtfertigter Weise verurteilen, weil sie bösartig sind.

    Der häufigere Fall ist, dass sich Angeklagte um Kopf und Kragen reden. Die Strafe die dort am Ende rauskommt ist aber vermutlich die gerechtere Strafe. Wenn jemand aufgrund einer Anklage der Staatsanwalt, die auf sehr wackeligen Beinen steht, alle seine Schandtaten gesteht und für diese Schandtaten verurteilt wird, dann wurde der Angeklagte weder um seine Rechte gebracht (er hat sie einfach nur nicht genutzt) und auch ist das Urteil am Ende nicht zwangsläufig ungerecht (er hat ja die Strafe bekommen, die für seine Vergehen angemessen war). Ungerechter wäre vermutlich, wenn der schuldige Täter aufgrund seines Schweigens freigesprochen wird (was in einem Rechtsstaat aber wichtig ist!).

    Es ist daher eine Betrachtungsweise. Aus dem Blick eines Strafverteidigers ist die geringste Strafe die das Strafrecht vorsieht für die Tat berufsbedingt das gerechtigste Urteil. Für die Gesellschaft ist ein gerechtes Urteil aber ein Tat und Schuld angemessenes Urteil und zwar unabhängig davon ob man das vor Gericht beweisen konnte oder nicht. So lange aber Richter keine Gedankenlesen können, muss man im Rechtsstaat mit ungerechten Urteilen leben. Sollten sich aber Angeklagte selbst ans Messer liefern und dafür ihre gerechte Strafe erhalten, so ist dies aber noch nicht der Untergang des Rechtsstaates.

    Würden alle Richter und Staatsanwälte ihren Job ordentlich und fair ausüben, bräuchte man auch keine Strafverteidiger. Da es aber utopisch ist, wird ein Angeklagter der sich keinen Verteidiger leisten können vor Gericht immer die (subjektiv) schlechteren Karten haben.

  4. @morphium
    Tatsächlich kann man die Rechte eines Beschuldigten nachlesen. Beschuldigte befinden sich häufig z.B. im Falle einer Inhaftierung in Situationen, in denen ihnen die schriftlich fixierten Rechte nicht vorliegen.
    Darüber hinaus sind die Rechte eher juristisch verfasst. Legt man mir einen Physik Artikel vor, würde ich diesen vielleicht auch nicht verstehen.
    Letztlich ist die Drucksiutaion zu beachten, denen Beschuldigte ausgesetzt sind.

  5. @ Jens
    Das Gespräch bezog sich diesmal nicht auf vermeintliche anwaltliche Verfahrensverzögerungen, sondern nur um die Wahrnehmung elementarer Rechte. Aber auch eine für Gerichte als Verzögerung hingestellte Verteidigungsstrategie stellt sich manchmal für einen Beschuldigten als lohnend heraus, da vielleicht gerade das letzte Beweismittel die Unschuld beweist.

  6. morphium sagt:

    Tja, und da bewahrheitet sich mal wieder „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“. Wer sich informieren will, kann das. Man findet überall die Info, nicht mit der Polizei zu reden etc etc. Wer zu faul ist sich zu informieren, muss halt die Konsequenzen tragen.

  7. Matthias sagt:

    Wieso „Gefahr laufen“? Es ist Tatsache, dass mittellose und anders benachteiligte die fast ausschließliche Mehrheit in den Gefängnissen darstellt.
    Rechtsstaat wird einfach überbewertet.

  8. Homeboy sagt:

    @Jens
    genau, schließlich werden nur schuldige beschuldigt, is klar ne, da ist eine rechtsstaatskonforme verteidigung obsolet, und da justizia blind ist, kann es keine unschuldigen geben, in metapilosophischer form jedenfalls. kurzum: SETZEN 6! THEMA VERFEHLT!

  9. Jens sagt:

    Das mag aus Ihrer Sicht so sein, aber das hat der Richter sicher nicht gemeint. Gemeint hat er das Gebrauchmachen von Verfahrensrechten zum Zwecke der Verfahrensverzögerung ohne jeden praktischen Nutzen für den Angeklagten.

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