Kann ein Totschlag durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt sein?

Die Notwehr gemäß § 32 StGB ist sowohl in strafrechtlichen Klausuren als auch in der Praxis relevant. Der § 32 Abs. 1 StGB lautet wie folgt:

„(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.“

Gemäß § 32 Abs. 2 StGB ist Notwehr die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. Der Bundesgerichtshof (BGH) beschäftigte sich jüngst in seinem Beschluss vom 07. Januar 2025 (2 StR 530/24) mit der Notwehr. Konkret lag dem Beschluss folgender Sachverhalt zugrunde:

Nach den Feststellungen des Landgerichts Köln lebte der Angeklagte zusammen mit dem späteren Tatopfer und einer weiteren Mitbewohnerin in einer Wohngruppe für beeinträchtigte und benachteiligte Menschen. Zwischen der Schwester des Angeklagten, die dessen Betreuung übernommen hatte, und dem Geschädigten kam es mit der Zeit zu Streitigkeiten, in die der Angeklagte auf der Seite seiner Schwester immer häufiger hineingezogen wurde und die oft nur durch hinzugerufene Einsatzkräfte der Polizei aufgelöst werden konnten.

Am 31. Oktober 2023 erteilte die Polizei der Schwester des Angeklagten nach einem vorangegangenen Streit mit den Mitbewohnern des Angeklagten einen Platzverweis. Der Angeklagte und seine Schwester hielten sich daraufhin bis ca. 16:00 Uhr in einem nahegelegenen Café auf. Der Geschädigte berichtete seiner Mitbewohnerin in der Folge aufgebracht, dass der Angeklagte ihm telefonisch Schläge angedroht habe. Diesen Vorfall meldete er anschließend bei der Polizeiwache. Nach seiner Rückkehr in die Wohngruppe suchte der Geschädigte erneut seine Mitbewohnerin auf und teilte ihr mit, dass er den Angeklagten schlagen wolle. Er begab sich zum Zimmer des Angeklagten und trat und schlug mehrfach gegen die Zimmertür.

Nachdem der Angeklagte seine Zimmertür geöffnet hatte, versetzte der Geschädigte ihm mindestens einen Faustschlag ins Gesicht. Der Angeklagte, dessen Nase leicht zu bluten begonnen hatte ergriff daraufhin ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von ca. 9 cm, das sich in seinem Zimmer befand. Aus Verärgerung über die ihm zugefügten Schläge führte er mehrfach mit dem Messer Stichbewegungen in Richtung des Geschädigten aus. Dieser konnte mit seinen Armen und Händen mindestens vier Stiche abwehren. Sodann versetzte der Angeklagte dem Geschädigten gezielt einen wuchtigen Stich mit dem Messer in die linke Brustkorbvorderseite. Anschließend zog er das Messer ein Stück zurück, richtete es neu und stieß dieses abermals in den Oberkörper des Geschädigten. Den Tod des Geschädigten nahm er dabei billigend in Kauf. Trotz zeitnaher ärztlicher Versorgung verstarb der Geschädigte am selben Tag.

Das Landgericht Köln verurteilte den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Zudem hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die durch den Angeklagten eingelegte Revision hatte Erfolg.

Die Erwägungen, mit denen das Landgericht Köln eine Rechtfertigung des Angeklagten durch Notwehr gemäß § 32 StGB verneint hat, weisen nach Ansicht der Karlsruher Richter Rechtsfehler auf. Die Möglichkeit einer Notwehr im Zeitpunkt der Abgabe der tödlichen Stiche sei nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.

Voraussetzung für die Rechtfertigung einer Rechtsgutverletzung als Verteidigung sei das Bestehen einer Notwehrlage zum Zeitpunkt der Tat, die ihrerseits einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff für ein notwehrfähiges Rechtsgut des Täters (Notwehr) oder eines Dritten (Nothilfe) voraussetze (§ 32 Abs. 2 StGB).

Ein gegenwärtiger Angriff dauert nach einer Verletzungshandlung so lange an, wie eine Wiederholung und damit ein erneutes Umschlagen in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten sei. Dabei komme es auf die objektive Sachlange an. Entscheidend seien dabei nicht die Befürchtung des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer (neuerlich oder unverändert) fortdauernden Rechtsgutsverletzung. Für die Beurteilung einer Notwehrlage sei auf den Zeitpunkt der Tathandlung, mithin des Einsatzes des Tatwerkzeugs, abzustellen, so dass es darauf ankomme, wie sich die Situation in diesem Moment darstelle.

Gemessen daran, hält, nach Ansicht des BGHs, die rechtliche Würdigung der Strafkammer der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Annahme des Landgerichts Köln, es seien keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass ein gegenwärtiger Angriff des Geschädigten noch vorgelegen habe, sei nicht tragfähig belegt. Die Urteilsgründe lassen offen, ob der von dem Geschädigten begonnene Angriff auf den Angeklagten zum Zeitpunkt des tödlichen Messereinsatzes beendet war. Die Feststellungen belegen nicht, dass der Geschädigte nach seiner eigenen, gegen den Angeklagten gerichteten Tathandlung von diesem abließ und daher eine Gefahr für eine erneute Verletzung der körperlichen Integrität des Angeklagten objektiv nicht mehr bestand. Der Umstand, dass der Geschädigte vor den beiden tödlichen Stichen weitere gegen seinen Körper geführte Stichbewegungen abwehren konnte, belegen nicht zwangsläufig die Beendigung des von ihm zunächst begonnen Angriff.

Der BGH wies auch darauf hin, dass die bisherigen Feststellungen auch dem erforderlichen Verteidigungswillen des Angeklagten nicht entgegenstehen.

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht in Berlin-Kreuzberg

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