Strafbefreiende Selbstanzeige – dann machen wir es eben, wie der BGH das will!
Das Steuerstrafrecht kennt einen für das Strafrecht sehr eigentümlichen Rücktrittstatbestand – die freiwillige Selbstanzeige. Während gewöhnlich nur vom Versuch ein Rücktritt möglich ist, also zur Straffreiheit führt, kann man im Steuerstrafrecht auch von einem vollendeten Delikt zurücktreten. Das ist praktisch für alle beteiligten: Der Staat erschließt sich so neue Steuerquellen (und bringt sie „zum Sprudeln“) und der Täter, hier: der Steuerhinterzieher, entgeht der Strafe (§ 371 Abs. 1 AO).
Voraussetzung ist lediglich, dass man seine Angaben korrigiert und die hinterzogenen Steuern innerhalb einer best. Frist nachzahlt.
Wenige Ausnahmen gibt es freilich: Insbesondere darf die Tat darf noch nicht entdeckt sein, aber auch wenn die Steuerfahndung an der Tür klingelt, ist es für § 371 zu spät.
Soweit die Grundlagen. Was passiert nun aber im wohl nicht seltenen Fall, dass der Steuerhinterzieher seine Angaben nicht komplett korrigiert und entsprechend etwas weniger als nötig zurückzahlt.
Beispiel: Steuerhinterzieher S hat Steuern in Höhe von 1.001.000 € hinterzogen.
Er korrigiert seine Angaben und zahlt 1.000.000 € zurück, also 1.000,00 € zu wenig.
Wird S hinsichtlich der
a) 1.000.000 € straffrei?
b) 1.001.000 € straffrei?
c) gar nicht straffrei?
Eigentlich sollte man eine Strafaufhebung hinsichtlich der 1.000.000 € annehmen, anders aber der BGH. Der Urteilstenor einer aktuellen Entscheidung vom 20. Mai 2010:
Eine Teilselbstanzeige reicht für die Strafbefreiung nach § 371 AO nicht aus. Hierfür ist vielmehr die Rückkehr zur vollständien Steuerehrlichkeit Voraussetzung, die vollständige und richtige Angaben des Steuerhinterziehers erfordert. Eine Teilselbstanzeige erfüllt diese Anforderung aber gerade nicht; vielmehr muss insgesamt „reiner Tisch“ gemacht werden.
Für den BGH drängt die Rückkehr in die Steuerehrlichkeit gegenüber der Erschließung neuer Steuerquellen in den Vordergrund.
Methodisch (nicht rechtspolitisch) gesehen entzündet sich der Streit an dem kleinen Wörtchen „insoweit“. In § 371 Abs. 1 heißt es:
Wer in den Fällen des § 370 unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Finanzbehörde berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt, wird insoweit straffrei.
Die BGH-Auslegung:
Das auf die Nennung dieser Voraussetzungen folgende Wort „insoweit“ bezieht sich nicht auf den Umfang der gemachten Angaben, sondern allein auf den Umfang der Strafbefreiung. […] Hätte der Gesetzgeber eine Strafbefreiung auch schon für nur teilweise richtige Angaben (Teilselbstanzeige) gewollt, dann hätte er das Gesetz anders formuliert („Soweit … berichtigt…“). „Insoweit“ bedeutet daher namentlich: Neben der Straffreiheit für – gänzlich verschiedene Steuerdelikte könnte auch ein Täter, der zusätzlich verfälschte Belege gebraucht oder ein Bestechungsdelikt begeht, Straffreiheit nur wegen der Steuerhinterziehung erlangen.
Diese Auslegung ist sehr befremdlich.
Selbstverständlich besteht zwischen „insoweit“ und „soweit“ ein Unterschied! Aber doch nur dahingehend, dass Insoweit nicht am Anfang eines Satzes stehen kann, insoweit nicht am Anfang eines Gliedsatzes.
„Insoweit“ bedeutet in wohl allen anderen Gesetzen, dass der Tatbestand teilweise erfüllt ist und daher die Rechtsfolge für diesen Teil eintreten kann.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf (§ 113 VwGO)
In der Praxis wird man sich wohl dennoch dem BGH anschließen. Für die Fälle der Steuerhinterziehung bedeutet dies: Großzügig nachzahlen, um die gesamte Strafbefreiung nicht zu gefährden! Oh weh, wenn es am Ende an 100,00 € hapert..
Im oben genannten Beispiel kommt übrigens – nach BGH-Rechtsprechung – nur noch eine Gefängnisstrafe ohne Bewährung in Betracht.