Genitalvergrößerung mit Folgen– Verfahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB)

In seinem Beschluss (3 StR 61/24) vom 19. März 2024 setzte sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Körperverletzung mit Todesfolge und der unerlaubten Ausübung der Heilkunde auseinander. Konkret war folgender Sachverhalt Gegenstand des Beschlusses:

Das Landgericht Wuppertal stellte fest, dass der 1987 geborene Geschädigte unter einer erheblichen Beeinträchtigung seines Selbstwertgefühls litt. Seine geringe Selbstachtung kompensierte er seit vielen Jahren durch intensives Bodybuilding unter massivem Einsatz von Anabolika. Dadurch erreichte er die Statur eines Extremkraftsportlers. Nun erachtete er seinen Penis und seine Hoden als zu klein und entschloss sich daher zu einer „Genitalmodifikation“ in Form einer starken Vergrößerung seiner äußeren Geschlechtsorgane durch die Injektion von Silikon in Penis und Skrotum. Über einschlägige Internetforen kam er in Kontakt zu dem Angeklagten, der solche Eingriffe bei anderen Männern gegen Entgelt vornahm. Der Angeklagte, der als Kellner arbeitete, spiegelte dem Geschädigten bewusst wahrheitswidrig vor, er sei ausgebildeter Krankenpfleger und in der Palliativversorgung tätig. Zudem behauptete er ihm gegenüber, hochwertiges und hochpreisiges medizinisches Silikonöl zu verwenden; tatsächlich injizierte er günstiges, für die Schmierung von Maschinen in der Industrie vorgesehenes Silikonöl. Sowohl dem Angeklagten als auch dem Geschädigten war bekannt, dass Silikoninjektionen in Penis und Hodensack mit einer großen Gesundheitsgefahr verbunden sind und sogar zum Tode führen können, weil das hohe Risiko einer Embolie durch in die Blutbahn gelangendes Silikon besteht. In dem irrigen Glauben an die medizinische Kompetenz des Angeklagten sowie die hohe Qualität des verwendeten Silikonöls und dessen Eignung für medizinische Zwecke entschloss sich der Geschädigte gleichwohl zu dieser Behandlung durch den Angeklagten, da er aufgrund dessen das Gesundheitsrisiko für beherrschbar hielt.

Nachdem der Geschädigte sich zwischen November 2017 und Juli 2018 in vier Fällen zu seiner Zufriedenheit vom Angeklagten Silikonöl in beträchtlichen Mengen von bis zu 280 ml pro Injektion hatte spritzen lassen, begab er sich am 24. Juli 2019 erneut zum Angeklagten. Dieser injizierte absprachegemäß mit dem Ziel einer vom Geschädigten erstrebten weiteren Vergrößerung des Geschlechtsteils 75 ml Silikonöl in dessen Penis. Nachdem der Geschädigte nach Hause zurückgekehrt war, verschlechterte sich sein Gesundheitszustand rapide und massiv. Er wurde am 26. Juli 2019 stationär in ein Krankenhaus aufgenommen und am Folgetag auf die Intensivstation eines Universitätsklinikums verlegt, wo die Ärzte eine Lungenembolie als Folge der Injektion diagnostizierten. Er wurde in ein künstliches Koma versetzt und verstarb nach sieben Monaten ununterbrochener intensivmedizinischer Behandlung an multiplem Organversagen.

Das Landgericht Wuppertal verurteilte den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit unerlaubter Ausübung der Heilkunde zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Die durch den Angeklagten eigelegte Revision blieb ohne Erfolg.

Nach Beurteilung der Karlsruher Richter lässt die Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 Abs. 1 StGB keinen Rechtsmangel. Das Tathandeln des Angeklagten war insbesondere nicht aufgrund einer Einwilligung des Geschädigten gerechtfertigt. Zwar erfolgte die Silikoninjektion am 24. Juli 2019 – ebenso wie die vorangegangenen – auf dessen ausdrücklichen Wunsch. Die Einwilligung beruhte jedoch – wie der Angeklagte wusste – auf Fehlvorstellungen über die mangelnde medizinische Qualifikation des Angeklagten und die Eigenschaft des verwendeten Silikonöls, die der Angeklagte bewusst herbeigeführt habe. Die Strafkammer sei – ohne das hiergegen revisionsrechtlich etwas zu erinnern wäre – zu der Überzeugung gelangt, dass der Geschädigte in Kenntnis der wahren Umstände den Injektionen nicht zugestimmt hätte. Damit vermochte die Einwilligung des Geschädigten keine rechtfertigende Wirkung zu entfalten. Denn eine Einwilligung, die – wie im hiesigen Fall – durch Täuschung über für das Ausmaß des mit einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verbundenen Gesundheitsrisikos relevante Faktoren und damit den Umfang des Rechtsgrundverzichts herbeigeführt wurde und der daher diesbezügliche Fehlvorstellungen zugrunde liegen, sei rechtsunwirksam. Da der Angeklagte Kenntnis davon hatte, dass die Zustimmung des Geschädigten mangelbehaftet war, befand er sich auch nicht in einem Erlaubnistatbestandsirrtum. Es könne deshalb dahingestellt bleiben, ob bei Silikoninjektionen in Penis und Skrotum zu deren Vergrößerung aus ästhetischen Gründen eine Rechtfertigung aufgrund einer Einwilligung der betreffenden Person gemäß § 228 SGB von vornherein ausscheide, weil die Tat gegen die guten Sitten verstoße. Hierfür spreche allerdings, dass solche Injektionen – wie der vorliegende Fall zeige – mit sehr hohen Gesundheitsgefahren und sogar dem konkreten Risiko eines Versterbens der betroffenen Person verbunden seien.

Zum Schluss trug der BGH vor, dass im Ergebnis auch die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubter Ausübung der Heilkunde gemäß § 5 HeilprG der revisionsrechtlichen Kontrolle standhalte.

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht in Berlin-Kreuzberg

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