Zum minder schweren Fall des Totschlags (§ 213 StGB)
In seinem Urteil vom 02. Oktober 2025 (3 StR 29/25) setzte sich der Bundesgerichtshof (BGH) jüngst mit dem minder schweren Fall des Totschlags gemäß § 213 StGB auseinander. Der § 213 StGB lautet wie folgt:
„War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.“
Folgender Sachverhalt war Gegenstand des Urteils:
Nach den Feststellungen des Landgerichts Düsseldorf besuchte der Angeklagte, der in der Vergangenheit als Boxer und Ringer in der Mittelgewichtsklasse Kampfsport betrieben hatte, mit seiner Ehefrau ein Restaurant. Im Verlauf des Abends kommentierte der ebenfalls anwesende Geschädigte ein vom Angeklagten bestelltes Getränk mit den Worten, dieses tränken nur „Bauern“ oder „Idioten“. Der Angeklagte ging auf die Bemerkung nicht ein.
Der Geschädigte verließ in der Folge das Restaurant und kehrte später, wie vom Angeklagten erkannt, erheblich alkoholisiert zurück. Der Geschädigte trat an den Tisch des Angeklagten und dessen Ehefrau heran, an dem ein weiterer Zeuge saß. Dabei berührte er die Ehefrau des Angeklagten kurz im unteren Bereich ihrer sehr langen Haare. Daraufhin kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten, in deren Verlauf der Angeklagte aufstand und auf den Geschädigten zuging. Der Angeklagte war über das aufdringliche Verhalten des deutlich alkoholisierten Geschädigten verärgert. Er hielt diesem vor, er habe seine Ehefrau durch das Berühren ihrer Haare belästigt. Die Strafkammer hat nicht auszuschließen vermocht, dass der Geschädigte im Verlauf der verbalen Auseinandersetzung zu dem Angeklagten auf Russisch sinngemäß „Hurensohn“ sagte. Nachdem die verbale Auseinandersetzung noch kurze Zeit fortgesetzt worden war, schlug der Angeklagte den Geschädigten zweimal in kurzer Folge mit der Faust aus kurzer Distanz sehr wuchtig in das Gesicht. Der Geschädigte fiel daraufhin ungebremst nach hinten, schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf und blieb regungslos liegen. Er erlitt durch die beiden Schläge bzw. durch das Auftreffen auf dem Boden ein schweres Hirntrauma mit Einblutungen in die Hirnhaut und eine Fraktur des Schädels. Er verstarb wenige Tage später im Krankenhaus an den Folgen seiner Verletzungen.
Das LG Düsseldorf hat den Angeklagten der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gesprochen. Im Rahmen der Strafzumessung hat es einen minder schweren Fall nach § 227 Abs. 2 StGB i.V.m. § 213 Alt. 1 StGB analog bejaht. Die Strafkammer hat es für möglich gehalten, dass der Angeklagte die etwaige Bemerkung „Hurensohn“ auf sich bezogen habe und er auch hierdurch zu der Tat (mit-)veranlasst worden sei. Die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil Revision ein und hatte weitestgehend Erfolg. Die Begründung, mit der die Strafkammer einen minder schweren Fall entsprechend § 213 Alt. 1 StGB bejahte, halte sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Die Frage, ob von der Strafzumessungsregel des § 213 Alt. 1 StGB Gebrauch zu machen sei, sei revisionsrechtlich nur auf Rechtsfehler überprüfbar. Denn die Strafzumessung sei grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Das Revisionsgericht dürfe die der Entscheidung über das Vorliegen eines minder schweren Falles unterliegende Wertung nicht selbst vornehmen, sondern lediglich daraufhin überprüfen, ob dem Tatgericht insoweit ein Rechtsfehler unterlaufen sei.
Den Anforderungen an eine Misshandlung oder schwere Beleidigung im Sinne des § 213 Alt. 1 StGB genügen grundsätzlich nur solche Provokationen, die auf der Grundlage aller dafür maßgebenden Umstände unter objektiver Betrachtung und nicht nur aus der Sicht des Täters als schwer zu beurteilen seien, wobei die Anforderungen nicht zu niedrig anzusehen seien. Maßgebend sei dafür der konkrete Geschehensablauf unter Berücksichtigung von Persönlichkeit und Lebenskreis der Beteiligten, der konkreten Beziehung zwischen Täter und Opfer sowie der tatauslösenden Situation. Erforderlich sei deshalb stets eine Gesamtbetrachtung, in die alle Umstände einzubeziehen seien, die dem konkreten Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Provokation durch das spätere Tatopfer sein Gepräge gebe.
Eine solche Gesamtwürdigung lasse sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, so der BGH. Das LG habe lediglich isoliert die unmittelbar tatauslösende Äußerung des Geschädigten in seine Betrachtung einbezogen, ohne sich überhaupt zur Erheblichkeit der Provokation zu verhalten. Dies soll nach dem Gesamtumständen nicht entbehrlich gewesen sein. Insbesondere habe es die – vom Angeklagten wahrgenommen – deutliche Alkoholisierung des bereits schwankenden Geschädigten nicht erkennbar bedacht, obgleich dieser Umstand zur Beurteilung des Schweregrads der Beleidigung bedeutsam sei. Das neue Tatgericht möge zudem in den Blick nehmen, dass im Verlauf der verbalen Auseinandersetzung sowohl der nicht bedrohlich auftretende Geschädigte als auch ein Zeuge versuchten, den Angeklagten zu beschwichtigen.
Der Strafausspruch beruhe auf dem aufgezeigten Rechtsfehler. Es sei nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei Vornahme der erforderlichen Gesamtbetrachtung einen minder schweren Fall verneint und eine höhere Strafe verhängt hätte.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht in Berlin-Kreuzberg

