Strafmilderung im Rahmen der Vergewaltigung bei vorangegangener intimer Beziehung – eine längst überholte Praxis

Ein Gastbeitrag von Frau Vanessa Gölzer, Studentin aus Berlin

Wenn der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder an sich vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit Eindringen in den Körper verbunden sind, so macht er sich der Vergewaltigung nach § 177 Abs. 2 StGB strafbar.

Da die Vergewaltigung einen besonders schweren Fall der sexuellen Nötigung darstellt, erhöht sich der Strafrahmen von einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr auf eine Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren.

So steht es zumindest im Gesetz. Die Rechtsprechung hält allerdings eine Praxis aufrecht, die aus Vergewaltigungsopfern Schutzsubjekte erster und zweiter Klasse macht. Denn findet die Vergewaltigung in einer Ehe oder einer vorangegangenen intimen Beziehung statt, so wird dieses von der Rechtsprechung bei der Strafzumessung berücksichtigt.

Zu Gunsten des Täters wird in diesen Fällen nicht der Strafrahmen des besonders schweren Falles, sondern der der sexuellen Nötigung nach § 177 Abs. 1 StGB angenommen.

Anerkannt in der Rechtsprechung ist, dass die Regelwirkung des § 177 Abs. 2 StGB dann entfällt, wenn ein besonders schwerer Fall mit gewichtigen Milderungsgründen zusammentrifft. Bei extremen Ausnahmefällen wird sogar eine noch weitergehende Milderung angenommen, indem der Strafrahmen für minder schwere Fälle nach § 177 Abs. 5 StGB angewandt wird. Für die Entscheidung, ob die Regelwirkung ausnahmsweise entfällt, stellt die Rechtsprechung dabei auf das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und die Persönlichkeit des Täters ab.

Vor allem der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) hat einige Entscheidungen getroffen, bei denen sich der Eindruck aufdrängt, dass er hinsichtlich des Entfallens der Regelwirkung recht großzügig ist. So hat er in dem Verfahren 4 StR 366/09 vom 10.09.2009 die Regelwirkung des § 177 Abs. 2 StGB verneint, weil die Geschädigte eine Woche vor der Tat eine intime Beziehung mit dem Angeklagten eingegangen war und am Tattag zunächst einvernehmliche Zärtlichkeiten ausgetauscht, sowie sexuelle Handlungen mit ihm vorgenommen hatte, bevor sie sich im letztlich verweigerte.

Auch in einem früheren Beschluss vom 19.07.2007 – 4 StR 262/07 hat der 4. Senat des BGH die Strafrahmenbemessung des Landgerichts Kaiserslautern in einem Vergewaltigungsfall aufgehoben und eine Ausnahme des Regelbeispiels angenommen. Zur Begründung führte er an, dass die Tat innerhalb einer langjährigen intimen Beziehung (das Tatopfer war die Ehefrau des Angeklagten) begangen wurde, der Angeklagte nicht nennenswert vorbestraft war, er an einer Persönlichkeitsstörung litt und das Opfer die Durchführung des Geschlechtsverkehrs in der Tatnacht zunächst in Aussicht gestellt hatte. Außerdem hätte nach Ansicht des Senats berücksichtigt werden müssen, dass die Geschädigte nach der Tat weitere 10 Monate mit dem Angeklagten zusammenlebte. Dieser weiterhin fortgesetzte Kontakt mit dem Angeklagten, habe nicht erkennen lassen, dass die Geschädigte tatsächlich unter den Tatfolgen zu leiden hatte.

Ferner hat der BGH in dem Verfahren 4 StR 414/02 vom 21.01.2003 die Annahme eines Regelfalls der vorherigen Instanz aufgehoben und betont, dass der Umstand, eine längere Zeit eine intime Beziehung zum Opfer gehabt zu haben, einen wesentlichen Strafmilderungsgrund für den Täter darstellt.

In der Literatur stößt diese Rechtsprechung auf erhebliche Bedenken. Denn in Zeiten, in denen auch die Ehe keinen minder schweren Fall der Vergewaltigung mehr rechtfertigen kann, sei es widersprüchlich, diesen bei grundsätzlich weniger verbindlichen intimen Beziehungen anzunehmen. Außerdem sei die Vergewaltigung vor allem in einer Beziehung, in der eigentlich ein besonderes Nähe- und Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten bestehe, eine besondere Erniedrigung und vor allem Zeichen eines unangemessenen Besitzanspruchs, der wiederum keineswegs als Gegenindikator für eine Vergewaltigung gesehen werden dürfe. Auch könne in Fällen, bei denen die Tat durch aggressive Motive und Bestrafungswünsche des Partners geprägt ist, sogar ein erhöhtes Handlungsunrecht angenommen werden.

Vor allem aber im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm, ist die von der Rechtsprechung praktizierte Strafmilderung nicht überzeugend. Denn über die sexuelle Selbstbestimmung sollte jederzeit abschließend und unabhängig davon, ob vorher eine einvernehmliche intime Beziehung stattgefunden hat oder nicht, entschieden werden können. Wird allerdings die Strafe des Täters gemildert, so wird sich das Opfer regelmäßig fragen, warum es weniger schützenswert ist, als andere Personen, die eine Vergewaltigung erfahren haben. Auch wird ihm zu Recht schwer zu vermitteln sein, warum eine Tat, die in gleicher Weise begangen worden ist, unterschiedlich bewertet und bestraft wird. Die Argumente des BGH tragen, meiner Ansicht nach, jedenfalls nicht zu einer plausiblen und überzeugenden Begründung bei.

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Eine Antwort

  1. Roman Kaiser sagt:

    In Großbritannien war es bis 2001 nicht erlaubt, die Geschädigte im Vergewaltigungsprozess nach ihren bisherigen sexuellen Beziehungen zu fragen. Seit der Entscheidung des House of Lords in R v A muss die entsprechende Vorschrift aber im Licht von Art. 6 EMRK („fair trial“) ausgelegt werden.
    In GB ging es vor allem darum, dass eine Jury bei promiskuitivem Verhalten der Frau eher annimmt, dass sie auch bei der im Raume stehenden Tat eingewilligt hat.
    Wie der BGH eine Vergewaltigung zu bejahen, dann aber den Strafrahmen zu mildern, erscheint irgendwie nochmal perfider.

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