Strafbarkeit nach dem Aufenthaltsgesetz bei Untätigkeit der Ausländerbehörde

Der Bundesgerichtshof (BGH) beschäftigte sich in seinem Beschluss (2 StR 171/25) vom 24. April 2025 mit folgendem Sachverhalt:

Nach den Feststellungen des Landgerichts Frankfurt am Main wurde der Angeklagte rechtskräftig mit Verfügung des Regierungspräsidiums aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Mit gleicher Verfügung wurde gegen ihn gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in der Fassung vom 15. August 2019 ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von drei Jahren festgesetzt. Die Zustellung der Ausweisungsverfügung an den Angeklagten erfolgte in der Justizvollzugsanstalt, in der er sich in Untersuchungshaft befand. Entlassen wurde er, nachdem ihn das Amtsgericht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt hatte.

Nach der Haftentlassung verblieb der Angeklagte in Kenntnis seiner Ausreisepflicht in Deutschland. Er unternahm auch keinerlei Anstrengungen, das Land zu verlassen oder sich mit der zuständigen Ausländerbehörde in Verbindung zu setzen. Nachdem er einer Personalkontrolle unterzogen wurde, wurde der deswegen durch einen Strafbefehl wegen unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet gemäß § 95 Abs.2 Nr. 1 b), § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Angeklagte reiste weiterhin nicht aus und es erfolgte eine weitere Personenkontrolle.

Das LG Frankfurt am Main verurteilte den Angeklagten wegen Aufenthalt im Bundesgebiet entgegen § 11 Abs. 1 AufenthG zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten und zwei Wochen. Gegen das Urteil legte der Angeklagte Revision ein und hatte Erfolg.

Der BGH führte in dem Beschluss zunächst aus, dass ein Verstoß gegen ein Aufenthaltsverbot nicht vorliege, wenn der Ausländer einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Erteilung der Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 AufenthG habe; dies sei von den Strafgerichten selbstständig zu prüfen. Der Ausländer bleibe allerdings strafbar, wenn die Ursache für die (gesetzwidrige) Untätigkeit der Ausländerbehörde (Nichterteilung der Duldungsentscheidung nach § 60a Abs. 2 AufenthG) allein im Verantwortungsbereich des Ausländers liege, weil er beispielsweise abgetaucht sei oder jeden Kontakt mit der Ausländerbehörde meide, da eine – auch hypothetische – Erteilung einer Duldung stets voraussetze, dass die Ausländerbehörde Kenntnis von dem Aufenthalt des Ausländers habe. Dies gelte bei einem Verbleib im Inland trotz Ausweisung und vollziehbarer Ausreisepflicht sowohl für eine mögliche Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG als auch für eine solche nach § 95 Abs. 2 Nr. 1 b) Var. 1 AufenthG bei einem zusätzlichen nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG angeordneten Aufenthaltsverbot, sofern man bei einem Verbleib im Inland entgegen einem Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 Satz 1 eine Strafbarkeit – jenseits von § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG – nach § 95 Abs. 2 Nr. 1 b) Var. 1 AufenthG überhaupt für möglich halte.

Hieran gemessen sei eine Strafbarkeit des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei belegt. Den Feststellungen sei nicht zu entnehmen, dass sich der Angeklagte unter anderem wegen eines „Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Verstoß gegen die Pass-/Ausweisepflicht im Sinne von § 3 Abs. 1, § 48 Abs. 2 AufenthG)“ in Untersuchungshaft befand. Ferner konnte ihm der Strafbefehl wegen unerlaubten Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland zugestellt werden. Wieso die Ausländerbehörde ungeachtet des ihr offensichtlich bekannten fortwährenden Aufenthalts des Angeklagten in der Bundesrepublik Deutschland nicht dafür gesorgt habe, dass der Aufenthalt des Angeklagten in der Untersuchungshaft (§ 60a Abs. 2 Satz 2 AufenthG) legalisiert oder er jedenfalls aus der Untersuchungshaft nicht in einen ungeregelten Aufenthalt entlassen wurde, bzw. in der Folge entweder für seine Abschiebung Sorge trug oder ihm eine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG erteile und damit den Aufenthalt des Angeklagten entweder beendete oder legalisierte, bleibe in den Urteilsgründen offen.

Nach Beurteilung der Karlsruher Richter beruhe das Urteil auf dem Erörterungsmangel (§ 337 StPO). Die Sache bedürfe daher, soweit der Angeklagte verurteilt ist, neuer Verhandlung und Entscheidung.

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht in Berlin-Kreuzberg

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