Tätowierung im Gesicht – Zur dauerhaften und erheblichen Entstellung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB

Der Bundesgerichtshof (BGH) setzte sich jüngst in seinem Urteil vom 10. April 2025 (4 StR 495/24) mit der schweren Körperverletzung gemäß § 226 StGB auseinander. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Nach den Feststellungen des Landgericht Bochum geriet der Angeklagte am 07. Dezember 2023 mit dem Geschädigten über eine Tätowierung in Streit, die dieser ihm vor einiger Zeit auf dessen Wunsch auf die Fingerrücken gestochen hatte. Der Angeklagte hielt dem Geschädigten vor, er habe die aus einer Zahlenkombination bestehende Tätowierung falsch gestochen („1213 statt „1312“ für „A.C.A.B.“), und kündigte an, ihn nun selbst im Gesicht zu tätowieren. Dabei kam es dem Angeklagten auf eine Tätowierung an, die den Geschädigten stigmatisiert, um ihn hierdurch für sein „Vergehen“ zu bestrafen. Er bestand deshalb darauf, die Tätowierung so vorzunehmen, dass sie auch in der Öffentlichkeit besonders ins Auge fiel; aus demselben Grund wählte er als Motiv das im Allgemein als anstößig geltende Wort „FUCK“. Weder der Angeklagte noch der Geschädigte sind gelernte Tätowierer. In der Folge tätowierte der Angeklagte dem Geschädigten gegen dessen Willen das Wort „FUCK“ in einem etwa 1,5 cm x 4,5 cm großen Bereich über der rechten Augenbrauche. Das „F“ ist mit einer Strichstärke von etwa 2 mm am kräftigten mit schwarzer Farbe tätowiert, die übrigen Buchstaben weisen eine Strichstärke von etwa 1 mm auf. Der Geschädigte hatte davor keine Tätowierung im Gesicht. Er schämt sich für die Tätowierung , auf die er oft angesprochen wird. Er möchte sie beseitigen lassen, was mittels Lasertherapie auch möglich wäre. Eine solche Therapie ist aber langwierig und schmerzhaft. Denn es sind etwa vier bis acht Sitzungen mit jeweils vierwöchigen Pausen erforderlich. Das für die Behandlung erforderliche Geld hat er nicht. Er hat seinen Haarschnitt so verändert, dass seine Haare nunmehr in die Stirn fallen und die Tätowierung verdecken.

Das Landgericht Bochum hat dieses Geschehen  als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gewertet. Eine schwere Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB hat das LG mit der Begründung abgelehnt, dass die Tätowierung des Wortes „FUCK“ über der rechten Augenbraue des Geschädigten aufgrund der Größe und geringen Strichstärke zwar deutlich sichtbar sei, aber damit auch unter Berücksichtigung des Aussagegehalts des tätowierten Wortes keine Beeinträchtigung darstelle, die mit den anderen schweren Folgen des § 226 Abs. 1 StGB vergleichbar sei; zudem bestehe die Möglichkeit der Verdeckung durch die Kopfhaare.  Die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil Revision ein und hatte Erfolg.

Nach Auffassung der Karlsruher Richter halten die Erwägungen, mit denen das LG eine Strafbarkeit wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB abgelehnt hat,  revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Der Geschädigte sei durch die Tätowierung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB dauerhaft erheblich entstellt und der Angeklagte habe diese schwere Folge absichtlich verursacht (§ 226 Abs. 2 StGB).

Eine Tätowierung im Sinne eines Durchstechens der Haut bei gleichzeitiger Einbringung eines Farbmittels sei ein erheblicher invasiver Eingriff in die Körpersubstanz und stelle damit jedenfalls eine körperliche Misshandlung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB dar. Auch das Tatbestandsmerkmal der erheblichen Entstellung im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB sei erfüllt. Diese setze voraus, dass die Tat zu einer Beeinträchtigung des Aussehens des Geschädigten führe und Nr. 2 gleichkomme. Ob eine derartige Verunstaltung vorliege, bemesse sich nach der Wahrnehmung der Verletzung des Geschädigten durch seine Umwelt, selbst wenn diese nur in bestimmten Lebenssituationen – etwa beim Baden oder Ausziehen der Kleidung – stattfinde. Danach können etwa auffällige Narben im Gesicht aufgrund ihres Hervortretens in allen Lebenslagen und der damit prägenden, das Opfer als Verletzten stigmatisierenden Wirkung als entstellend anzusehen sein. Bei der Beurteilung einer Entstellung sei die Beschaffenheit und Lage der Verletzung sowie die Beeinträchtigung des Geschädigten im Einzelfall zu berücksichtigen. Allein der Umstand, dass die Narbe oder Verletzung deutlich sichtbar sei, soll dabei für sich genommen noch nicht ausreichen, um eine Entstellung anzunehmen.

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe sei die dem Geschädigten durch den Angeklagten zugefügte Tätowierung erheblich entstellend im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Eine Tätowierung im Gesicht sei ebenso wie eine markante Narbe aufgrund der deutlichen, vom Hautbild abweichenden Färbung grundsätzlich geeignet, das Aussehen eines Menschen erheblich zu verändern. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Betroffene – wie vorliegend – bislang im Gesicht nicht tätowiert war. Wie sich im Besonderen aus den in Bezug genommenen Lichtbildern ergebe, sei vorliegend das Erscheinungsbild des Geschädigten aufgrund der exponierten Lage des Tattoos oberhalb der rechten Augenbraue und dessen Beschaffenheit massiv verändert worden, so dass es selbst einem flüchtigen Betrachter sofort auffalle. Dies habe ebenso das LG so bewertet.

Die dadurch verursachte Veränderung sei auch entstellend. Denn dem Gesicht des Geschädigten werde dadurch ein Merkmal hinzugefügt, das ihm eine bis dahin nicht vorhandene Bestimmung gebe und von dem bisherigen Zustand abweichend charakterisiere. Die Karlsruher Richter führten insoweit auch aus, dass der Senat nicht zu entscheiden habe, ob ein menschlicher Körper bereits dann regelmäßig entstellt sei, wenn er durch einen Eingriff in seine Integrität deutlich sichtbar zum Träger einer Wortbotschaft gemacht werde. Jedenfalls dann, wenn diese Wortbotschaft – wie vorliegend – durch weitere Teile der Bevölkerung als anstößig wahrgenommen und mit dessen Träger identifiziert werde, erfahre der Betroffene durch die Veränderung seines Erscheinungsbildes eine Stigmatisierung, die in ihren Auswirkungen dem Gewicht der geringsten Fälle des § 226 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB gleichkomme.

Soweit das LG die besonders prägende Lage des Tattoos im Gesicht des Geschädigten relativiert habe, indem es auf die wahrgenommene Möglichkeit der Verdeckung des Tattoos in den Haaren abgestellt hat, könne dem nicht gefolgt werden. Denn hierdurch würde die Verunstaltung lediglich in solcher Weise verbergen, dass sie in besonderen Lebenssituationen doch wahrnehmbar wäre, was dem oben Ausgeführten ihre Tatbestandsmäßigkeit nicht in Frage stelle.

Der BGH nahm weiterhin an, dass die Einstellung des Geschädigten auch dauerhaft sei. Dauerhaft i.S.d. § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB sei eine Entstellung, wenn sie zu einer unbestimmt langwierigen Beeinträchtigung des Aussehend des Geschädigten führe. Es genüge, wenn die Behebung bzw. nachhaltige Verbesserung des – länger währenden – Krankheitszustandes nicht abgesehen werden könne. Dabei komme es dem Täter zugute, wenn die zumindest teilweise Wiederherstellung konkret wahrscheinlich sei. Für die Beurteilung sei im Grundsatz der Zeitpunkt des Urteils maßgeblich. Eine Dauerhaftigkeit scheide damit aus, wenn die schwere Folge im Urteilszeitpunkt beseitigt sei. Ebenso fehle es an der Dauerhaftigkeit, wenn eine Behandlung der Verletzung zu dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt des Urteils bereits begonnen habe und im Rahmen der zu diesem Zeitpunkt zu stellenden Prognose davon auszugehen sei, dass eine Beseitigung der schweren Folge in absehbarer Zeit erreicht sein werde.

Nach vorstehenden Maßstäben sei die Einstellung vorliegend dauerhaft. Dem stehe nicht entgegen, dass die Beseitigung der Tätowierung durch eine Lasertherapie möglich sei. Denn in dem für die Prognose der Dauerhaftigkeit maßgeblichen Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils habe sich der Geschädigte keiner Behandlung unterzogen. Nach den Feststellungen des LG war auch nicht absehbar, dass der Geschädigte – der die Tätowierung zwar grundsätzlich beseitigen möchte – eine Behandlung zu einem absehbaren zukünftigen Zeitpunkt beginnen werde. Vielmehr habe er unter Verweis auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse mitgeteilt, eine Behandlung nicht durchführen zu können, so dass die Entstellung nach dem Stand in der Hauptverhandlung dauerhaft war. Damit müsse vorliegend nicht entschieden werden, ob die Dauerhaftigkeit aufgrund einer absehbar künftigen und die schweren Folgen beseitigenden Behandlung überhaupt entfallen könnte. Denn die insoweit freie Entscheidung eines Geschädigten, sich keiner (kosmetischen) Operation zu unterziehen, lasse die Dauerhaftigkeit der Entstellung nicht entfallen. Dem Angeklagten seien die Folgen seiner Verletzungshandlung trotz dieser Möglichkeit – außer in extrem gelagerten Konstellationen, wie etwa der Böswilligkeit -, unabhängig von dem Kriterium der Zumutbarkeit, objektiv zurechenbar. Dies gelte auch in Fällen, in denen der Geschädigte die Behandlung nicht vornehme, weil sie ihm finanziell nicht möglich sei bzw. wie vorliegend nicht möglich erscheine. Die Kammer müsse insoweit auch nicht aufklären, ob die Kosten einer Lasertherapie durch die Krankenkasse im Fall einer Durchführung übernommen werden würden, so dass eine alsbaldige Therapie durch den behandlungswilligen Geschädigten im Fall der Kenntnis von der Kostenübernahme zu erwarten gewesen wäre. Denn die Übernahme der Kosten durch die Krankenkasse und damit ein Behandlungsbeginn wäre – unabhängig von einer etwaigen Kenntnis der Geschädigten von der Kostenübernahme – zum maßgeblichen Zeitpunkt der Urteilsfindung nicht absehbar.

Der Angeklagte habe die schwere Folge absichtlich verursacht (§ 226 Abs. 2 StGB). Absicht liege vor, wenn es dem Täter auf die Tatfolge ankomme. Dies sei hier der Fall. Dem Angeklagten sei es zur Bestrafung des Geschädigten auf eine Tätowierung angekommen, die diesen stigmatisieren sollte.   Deshalb habe der Angeklagte die Tätowierung im Gesicht des Geschädigten über der rechten Augenbraue vorgenommen, wo sie in der Öffentlichkeit besonders ins Auge falle und wählte als Motiv das im Allgemeinen als anstößig geltende Wort „FUCK“.

Der Senat änderte den Schuldspruch der Urteilsgründe entsprechend § 254 Abs. 1 StPO selbst.

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht in Berlin-Kreuzberg

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