Straflos trotz Tötung – ein Irrtum?

Kommissar Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) hatte mit Sicherheit gute Gründe, seine Nachbarn über Jahre hinweg nicht kennenlernen zu wollen. Im Tatort vom 1. Februar 2015 wurde unter Beweis gestellt, dass so manche Hausgemeinschaft eben doch eine Leiche im Keller hat. Anscheinend musste im Kölner Tatort aus diesem Grund extra ein Mensch sterben, um die Metapher zu vermitteln. Aber wie immer will es dann am Ende niemand gewesen sein.

Als der obdachlose Pianist Daniel (Matthias Reichwald) nach einem Streit mit drei Bankern von diesen brutal zusammengeschlagen wurde, suchte er Hilfe bei einem Freund in besagtem Haus Nr. 77a, bei dem er regelmäßig am Flügel musizierte. Blutüberströmt bat er dort durch heftiges Klingeln um Einlass. Doch aus Angst, eigene Nachteile zu erfahren, haben alle anwesenden Hausbewohner gemeinsam weggesehen oder auch weggehört – sofern das Hörgerät überhaupt richtig eingestellt war, wie am Anfang recht lange demonstriert wird. Den Kommissaren gegenüber macht dann auch niemand wirklich hilfreiche Angaben zum Geschehen. Da bekommt das Wort Gemeinschaft gleich eine ganz neue Bedeutung, wenngleich eine sehr unschöne. Es wird in diesem Tatort eine Gesellschaft der Angst präsentiert, die anscheinend auch noch zusammen in einem Irrenhaus wohnt.

Mit Abschluss der polizeilichen Ermittlungen fügt sich das Bild eines wiederum ziemlich verrückten Geschehens zusammen. Der mit Daniel befreundete Eishockeytrainer Günther Baumgart ließ den Freund in dessen Notlage nicht herein, aus Angst, seine Frau erführe so von der mittlerweile entstandenen Liebe zu Daniel. Das ältere Ehepaar Koschwitz hatte sich sowieso von sämtlichem Geschehen abgeschottet, die Nachbarin Katja Petersen war eingeschlafen als sie auf die kleine Lisa aufpasste. Jene Lisa war es schließlich, die dem verletzten Daniel die Tür ins Haus öffnete, weil sie ihre Mutter Claudia an der Klingel glaubte. Als dann jemand heftig an der Wohnungstür klopfte, vermutete die Babysitterin Petersen nun ihren Ex-Mann im Haus, der ihr schon länger nachstellte und sie bereits mehrfach körperlich misshandelt hatte. In dieser Unsicherheit setzte die Nachbarin Pfefferspray gegen den mutmaßlichen Angreifer ein, woraufhin der besprühte Daniel  die Treppe zum Keller hinunter stolperte und starb.

Da die Nachbarin Petersen Daniel nicht umbringen wollte, kommt vorliegend kein klassisches Tötungsdelikt, sondern eine Körperverletzung mit Todesfolge gem. § 227 StGB in Betracht. Viel interessanter erscheint dabei aber die Frage, wie sich die falsche Vorstellung des mutmaßlichen Angriffs durch ihren Ex-Mann auf ihre Strafbarkeit auswirkt. Denn hätte tatsächlich der gewalttätige Ex-Mann an der Tür gestanden und sie angegriffen, wäre der Pfeffersprayeinsatz wohl durch Notwehr gerechtfertigt gewesen. Frau Petersen stellte sich also Umstände vor, die – wenn sie tatsächlich vorlägen – ihre Handlung rechtfertigen würden. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Erlaubnistatumstandsirrtum (auch Erlaubnistatbestandsirrtum). Wie man diesen Irrtum rechtlich behandelt, ist im Detail sehr umstritten. Entscheidend ist dabei die Frage nach der Einordnung des Unrechtsbewusstseins auf Tatbestands- oder Schuldebene. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass – sofern man das Unrechtsbewusstsein zum tatbestandlichen Vorsatz zählt – bei dessen Fehlen eine Parallele zum Tatbestandsirrtum gem. § 16 StGB vorliegt, wonach im Ergebnis der Vorsatz des Täters entfällt. Andere ordnen das Unrechtsbewusstsein der Schuld zu und halten daher bei dessen Fehlen den § 17 StGB (Verbotsirrtum) eher für anwendbar, der im Ergebnis die Schuld entfallen lässt. In jedem Fall aber führt der Erlaubnistatumstandsirrtum zu einer Verneinung der Strafbarkeit.

Update 04.02.2015: Folgt man der Rechtsprechung, wäre hier § 16 Abs. 1 S. 1 StGB analog anzuwenden, sodass der Vorsatz – und damit die Strafbarkeit des Vorsatzdelikts – entfiele. Zu klären wäre dann, ob Frau Petersen fahrlässige Begehung vorzuwerfen wäre – insbesondere, ob sie den Irrtum fahrlässig hervorgerufen hat. Da sind hier natürlich nur Mutmaßungen möglich, weil wir den exakten Geschehensablauf nicht kennen. Vergleiche mit bekannten aktuellen Fällen aus der Rechtsprechung legen jedoch den Schluss nahe, dass auch ein Fahrlässigkeitsvorwurf ausscheiden sollte. Denken wir z. B. an das Hell’s Angels-Mitglied, das irrig – aber aufgrund der Umstände und des Vorgeschehens nachvollziebar – davon ausging, in der Nacht von einer gegnerischen Rockerbande überfallen zu werden, und das dann ohne Vorwarnung auf den Eindringling schoss, der tatsächlich eine Polizeibeamtin war, die trotz schusssicherer Weste ihren Verletzungen erlag. Hier hatte der BGH (2 StR 375/11) nicht nur einen Erlaubnistatbestandsirrtum angenommen, sondern auch die Fahrlässigkeit abgelehnt und das Hell’s Angels-Mitglied freigesprochen.

Frau Petersen wurde massiv gestalkt. Im Tatort wurden mehrere Szenen gezeigt, in denen der Stalker sich Zutritt auf das Grundstück zu verschaffen versuchte. In einer Szene würgte und verprügelte er seine Exfrau. Sie ging aus Angst vor dem Täter nicht mehr aus dem Haus und klebte sogar ihre Fenster zu. Zudem lebte sie in der obersten Etage. Wenn nun mitten in der Nacht bei schlechten Lichtverhältnissen ein Mann vor ihr steht – ist es ihr vorzuwerfen, dass sie nicht erst das Licht angeschaltet hat, um zu prüfen, ob es erneut ihr Exmann, von dem sie sogleich erneut verprügelt wird. Das wird man wohl nicht annehmen können. Somit dürfte Frau Petersen am Ende tatsächlich straflos bleiben. (KS, Mit Dank an derjurastudent).

Über dem ganzen Haus scheint darüber hinaus die präzise Überschrift des § 323c StGB – Unterlassene Hilfeleistung – zu schweben. Jedenfalls ist die ganze Angelegenheit und der Versuch der Sachverhaltsaufklärung in dem „Affenhaus“, wie Kollege Ballauf es nennt, so verrückt, dass Kommissar Freddy Schenk irgendwann eine durchaus nachvollziehbare und nicht weniger effiziente Ermittlungshandlung durchführt. Er tanzt.

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2 Antworten

  1. Tobias Kreher sagt:

    Gut aufgepasst! Die Rechtsfolge richtet sich auch hier nach den weiteren Regelungen des §16 bzw. 17 StGB.

  2. „In jedem Fall aber führt der Erlaubnistatumstandsirrtum zu einer Verneinung der Strafbarkeit.“

    Nein!

    16 führt zum Vorsatzauschluss, also gegebenenfalls immer noch zur Fahrlässigkeitsstrafbarkeit, 17 nur bei einem unvermeidbaren Irrtum zum Schuldausschluss und dann zum Wegfall der Strafbarkeit.

    Strafrecht AT 1 – 1. oder 2. Semester (jedenfalls in Mainz)

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