BGH bestätigt Urteil wegen Mordes auf Recyclinghof – und wir schauen ins Gesetz

Aus der Pressemitteilung des BGH vom 02. März 2011:

Bundesgerichtshof bestätigt Urteil wegen Mordes auf Recyclinghof in Berlin

Im Januar 2010 erstach der 23 Jahre alte Angeklagte, der auf einem Recyclinghof in Berlin arbeitete, während der Nachtschicht auf dem Gelände seiner Arbeitsstelle eine 26jährige Kollegin. Nach den Urteilsfeststellungen war er aus Wut auf die Idee gekommen, einen beliebigen Menschen zu töten. Auf seiner Suche nach einem Opfer traf er die ihm nur flüchtig bekannte Kollegin im Damenumkleideraum an. Er überwältigte, fesselte und vergewaltigte sein Opfer. Nach einer halben Stunde tötete er sie durch zwei Messerstiche. Die Leiche der Frau versteckte er in einem Container. Sie wurde erst aufgefunden, nachdem die Polizei mehrmals das Gelände nach der Vermissten durchsucht hatte.

Der geständige Angeklagte wurde durch das Landgericht Berlin wegen Mordes in Tateinheit mit besonders schwerer Vergewaltigung zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt; die besondere Schwere der Schuld wurde festgestellt. Der 5. (Leipziger) Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Angeklagten durch Beschluss als unbegründet verworfen. Die Verurteilung ist damit rechtskräftig.

Warum stellt das Schwurgericht eine „besondere Schwere der Schuld“ fest? Wenn Die Schuld des Täters die Grundlage für die Zumessung der Strafe, § 46 Abs. 1 S. 1 StGB ist und lebenslange Freiheitsstrafe die höchste in Deutschland mögliche Strafe, müsste die Schuld eines Mörders doch immer „besonders schwer“ sein..

Hintergrund dieser Feststellung ist § 57a Abs. 1 S. 1 StGB. Das Gericht setzt nach § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 1.-3. in Verbindung mit 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3. StGB die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1. fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,
2. nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet,
3. dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann und
4. die verurteilte Person einwilligt.

Zunächst kommt es nur auf die ersten beiden Punkte an.

Grundsätzlich wird der zu lebenslanger Haft Verurteilte nach 15 Jahren auf Bewährung entlassen, es sei denn, die besondere Schwere der Schuld steht dem entgegen.

Wann die besondere Schwere der Schuld vorliegt, ist erwartungemäß umstritten.
Die Meinungen reichen von einem (1) Abweichen von der Mindestschuld über ein (2) Abweichen von der Durchschnittsschuld bis hin der Feststellung der besonderen Schuld lediglich in (3) Extremfällen.

Die h. M. stellt auf ein erhebliches Abweichen von der normativ bestimmten Mindestschuld anhand von „Umständen von Gewicht“ ab. Man müsse sich fragen, ob die Vollstreckung von 15 Jahren eine unangemessen niedrige Strafe darstellen würde. Um es nicht völlig dem Belieben der Richter zu überlassen, die besondere Schwere der Schuld festzustellen, haben sich folgende Kriterien etabliert:

1) Art und Anzahl der verwirklichten Mordmerkmale
2) die Zahl der Opfer
3) die daneben gefährdeten Rechtsgüter

Das Tatgericht wird im Ausgangsfall vermutlich auf die erstaunliche Vielzahl der verwirklichten Mordmerkmale abgestellt haben.

Interessant ist letztlich ausnahmsweise einmal die Zuständigkeit: § 57a StGB ist eine Norm, die die Strafvollstreckung regelt. Hierfür ist gemäß §§ 454, 462a Abs. 1 StPO die Vollstreckungskammer zuständig – mithin gar nicht das Schwurgericht.

Wie aber soll die Vollstreckungskammer 15 Jahre nach der Verurteilung nachträglich eine besondere Schwere der Schuld feststellen, was zusätzlich für den Verurteilten eine große Ungewissheit bärge, möglicherweise nie entlassen zu werden? Hier ist das Rechtsstaatsprinzip berührt.

Das BVerfGE hat entschieden, dass die Vollstreckungskammer bei der Aussetzungsentscheidung an die Einschätzung des Tatgerichts hinsichtlich der besonderen Schwere der Schuld gebunden ist („Schwurgerichtslösung“ BVerfGE 86, 288, 317 ff). Nachträglich lasse sich die besondere Schuldschwere nicht mehr feststellen. Das BVerfG nennt das „verfassungskonforme Auslegung“ der oben genannten Zuständigkeitsregelung. Eigentlich wäre aber der Gesetzgeber gefragt, die dem Rechtsstaatsprinzip entgegenstehende gesetzliche Regelung zu ändern.

Die Folge der BVerfG-Entscheidung: Das Tatgericht muss also, wenn es die Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung nach 15 Jahren verhindern will, im Urteil die besondere Schwere der Schuld feststellen. Das hat es im vorliegenden Fall getan.

Konstantin Stern

Das könnte dich auch interessieren …

5 Antworten

  1. Engelskircher sagt:

    Ich habe zu danken. Ich wußte zunächst auch nur, daß es nicht stimmen kann.

  2. Wie unangenehm. Ist auch das erste Mal, dass mir jemand einen Grammatik-Helfer-Linktipp schickt. Trotzdem Danke.

  3. Engelskircher sagt:

    Jetzt ist es fast richtig. Es heißt auch nicht „bärgTe“, bärge reicht. Die Details finden Sie bei canoo.net.

  4. stimmt. Habe ich korrigiert. Freue mich, dass die Berliner Verwaltung unseren Blog liest.

  5. Engelskircher sagt:

    nicht birgte, bärge!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert