Zwei Fliegen mit einer Klappe – Strafzumessung und die Einbeziehung einer weiteren, nicht angeklagten Straftat

Darstellung des Beschlusses des BGH vom 19.11.2013 – 4 StR 448/13 –

Sich ein weiteres, langwieriges Verfahren sparen und somit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen – das dachte sich vermutlich das Landgericht Bochum, als es den Angeklagten wegen Totschlags verurteilt und bei der Strafzumessung Taten, die nichts mit dem Totschlag zu tun hatten, zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt hatte.

Der Angeklagte hatte seine Ehefrau durch einen Messerstich in die linke Brust getötet und daraufhin den Leichnam und die Tatspuren beseitigt. In der Hauptverhandlung gestand er die Tat weitgehend. Doch nicht nur das. Über die angeklagte Tat hinaus gestand der Angeklagte außerdem, dass er seine beiden damals etwa zehn bis vierzehn Jahre alten Stieftöchter über einen Zeitraum von etwa 2 Jahren regelmäßig sexuell missbraucht hatte. Auf der Grundlage der glaubhaften Angaben des Angeklagten und der beiden Geschädigten sah die Strafkammer des Landgerichts Bochum mindestens 215 Taten des sexuellen Missbrauchs im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB als erwiesen an.

Es verurteilte ihn wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von dreizehn Jahren und berücksichtigte bei der Strafzumessung die Taten des sexuellen Missbrauchs als Teil des Vorlebens im Sinne von § 46 Abs. 2 StGB strafschärfend, obwohl diese nicht angeklagt waren. Dabei äußerte das Landgericht die Hoffnung, dass es aufgrund des Geständnisses des Angeklagten eines neuen Strafverfahrens nicht mehr bedürfe und den Geschädigten auf diese Weise weitere Vernehmungen erspart blieben. Der Angeklagte legte Revision gegen dieses Urteil ein.

Rechtlich kann das Gericht bei der Strafzumessung unter dem Stichpunkt des Vorlebens nach § 46 Abs. 2 StGB einerseits das straffreie Vorleben zu Gunsten und andererseits die Vorstrafen zu Lasten des Täters berücksichtigen. Dem steht nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nicht entgegen, noch nicht rechtskräftig festgestelltes strafbares Vorverhalten strafschärfend zu berücksichtigen, auch wenn dieses nicht Gegenstand der Anklage ist. Dazu muss es jedoch so bestimmt festgestellt worden sein, dass es in seinem wesentlichen Unrechtsgehalt abzuschätzen ist und eine unzulässige Berücksichtigung des bloßen Verdachts weiterer Straftaten ausgeschlossen werden kann. Außerdem dürfen solche Taten nur berücksichtigt werden, wenn sie nach ihrer Art und nach der Persönlichkeit des Täters auf Rechtsfeindlichkeit, Gefährlichkeit, sowie der Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen lassen und Rückschlüsse auf die Tatschuld des Angeklagten gestatten. Dies ist nicht der Fall, wenn der innere Zusammenhang zwischen dem strafbaren Vorverhalten und dem angeklagten Tatvorwurf fehlt. Wird ein strafbares Vorverhalten berücksichtigt, so müssen sowohl die Unschuldsvermutung als auch das Verbot der Doppelbestrafung gewährleistet werden.

Unter Erläuterung der soeben dargestellten Grundsätze entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass das Landgericht dem sexuellen Missbrauch der Stieftöchter zu viel Gewicht beigemessen hat. Vor allem aber habe es das Erfordernis des inneren Zusammenhangs zwischen dem strafbaren Vorverhalten und der angeklagten Tat aus dem Blick verloren. Dies bekräftigte der BGH damit, dass es sich bei den Taten nicht um vergleichbare oder gleichwertige Schuldvorwürfe handelt, aus denen sich unmittelbare Rückschlüsse für die Tatschuld des Angeklagten hätten ziehen lassen können. Darüber hinaus stünden die Sexualstrafen nicht im Zusammenhang, geschweige denn könne man sie als Anlass zur Tötung der Ehefrau sehen. Dies begründete der BGH vor allem mit der hohen Anzahl der einzelnen Taten, sowie auch der Dauer des Tatzeitraums. Außerdem sah er in der Hoffnung des Landgerichts, den beiden Stieftöchtern kein weiteres Verfahren zumuten zu müssen, die konkrete Gefahr einer unzulässigen Doppelbestrafung, da das Urteil keine Feststellungen zu einem eventuell laufenden oder geplanten Verfahren enthielt.

Über die Strafe des Angeklagten muss demnach noch einmal verhandelt und entschieden werden. Der BGH schloss dabei nicht aus, die Taten des sexuellen Missbrauchs zu berücksichtigen, soweit sie nach dem Totschlag stattgefunden haben und nach ihrer Art und den Umständen ihrer Begehung Rückschlüsse auf eine tatbezogene besondere Rechtsfeindlichkeit zulassen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.11.2013 – 4 StR 448/13

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Strafverteidiger in Berlin-Kreuzberg

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