Wann verjährt eigentlich die „Fahrerflucht“ im Tatort?

Am Sonntag waren im Tatort wieder einmal die Stuttgarter Kommissare in der ARD im Einsatz und es gab gleich zwei juristisch interessante Fragen.

Die erste Frage lautet, kann der Rechtsanwalt nach ca. 15 Jahren noch wegen einer „Unfallflucht“ strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden oder sind etwaige Straftaten bereits verjährt. Dem lag zu Grunde, dass der Rechtsanwalt vor rund 15 Jahren im betrunkenem Zustand ein Mädchen angefahren hat und nach dem Unfall weiter gefahren ist. Das Mädchen ist verstorben. Am Ende des Films wendete sich die Staatsanwältin an den Rechtsanwalt und meinte, sie würde prüfen, ob etwaige Straftaten noch nicht verjährt sind.

Eine Fahrerflucht bzw. das unerlaubte Entfernen vom Unfallort wäre bereits gem. § 78 StGB nach fünf Jahren verjährt (Verfolgungsverjährung), weil der Strafrahmen der Unfallfluch gem. § 142 StGB maximal Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vorsieht.

Nicht berücksichtigt wurde bisher aber, dass das Mädchen verstorben ist. Sollte ein Mord gem. § 211 StGB vorliegen, wäre keine Verjährung eingetreten, weil ein Mord gem. § 78 Abs. 2 StGB nicht verjährt.

Wenn man das erste Mal über diese Situation nachdenkt, fällt es einem schwer, gleich auf den Mord zu kommen, weil das Anfahren des Mädchens fahrlässig gewesen ist. Das Anfahren dient aber nicht als Anknüpfungspunkt. Vielmehr ist das Weiterfahren und damit die unterlassene Hilfe von Relevanz. Man könnte weitergefahren sein, um zu verhindern, dass das Anfahren von der Polizei entdeckt wird.

Als Mordmerkmal kommt deshalb die Verdeckung einer anderen Straftat in Betracht.

Die zu verdeckende Tat wäre z. B. die fahrlässige Körperverletzung an dem Mädchen.

Auch besteht beim Weiterfahren im Rahmen einer Fahrerflucht eine Verdeckungsabsicht.

Die Verdeckungsabsicht muss nicht das einzige Motiv für eine Weiterfahrt gewesen sein. Es reicht, wenn dieser Beweggrund in einem Motivbündel enthalten ist. Nach neuerer Rechtsprechung ist für die Verdeckungsabsicht auch nicht mehr ein „aktives Zudecken“ erforderlich. Nach der älteren Rechtsprechung musste die Tötung das Mittel der Verdeckung und nicht nur die Folge eines anderen Mittels sein.

Wenn man also nach einem Unfall mit späterem tötlichen Ausgang weiterfährt, um auch zu verhindern, dass man als Täter des Unfalls identifiziert wird, besteht nach Auffassung der Rechtsprechung eine Verdeckungsabsicht.

Die Garantenpflicht folgt aus dem vorangegangenem Tun.

Sollte der Rechtsanwalt gewusst haben, dass das Mädchen nach dem Zusammenstoß noch lebte, hat er sich wegen Mordes durch Unterlassen strafbar gemacht. Der Mord wäre noch nicht verjährt.

Die zweit Frage stellte sich mir, als Kommissar Sebastian Bootz, alias Felix Klare, die Ventile eines fremden Fahrrades öffnete, so dass die Luft abgelassen wurde.

Ich glaube, die meisten Menschen haben bereits einem anderen die Luft aus dem Rad gelassen. Gründe sich über Mitmenschen zu ärgern gibt es ja viele. Doch macht man sich hierdurch strafbar?

Zunächst sollte man an eine Nötigung gem. § 240 StGB denken, weil der Eigentümer des Fahrrades dieses wieder aufpumpen muss.

Darüber hinaus ist aber auch eine Sachbeschädigung gem. § 303 StGB möglich. Eine Sachbeschädigung liegt bei jeder nicht nur ganz unerheblichen Verletzung der Substanz vor, die die Brauchbarkeit der Sache beeinträchtigt. Früher war erforderlich, dass zusätzlich ein Eingriff in die Substanz vorliegen muss. Beim Öffnen eines Ventils liegt ein Eingriff in die Substanz nicht vor. Nach überwiegender Ansicht ist dieser Eingriff in die Substanz nicht erforderlich, so dass das Ablassen der Luft eine Sachbeschädigung darstellen kann.

In Bezug auf die Erheblichkeit ist zu prüfen, mit welchem Aufwand der Berechtigte seine Reifen wieder in einen funktionsfähigen Zustand versetzen kann. Befindet sich unmittelbar am Fahrrad eine Luftpumpe, würde keine Sachbeschädigung vorliegen, da das bloße Aufpumpen nicht mit viel Zeit und Mühe verbunden ist. Steht das Fahrrad ohne Pumpe tief im Walde, kostet es einen erheblichen Aufwand, das Fahrrad wieder flott zu machen. Eine Sachbeschädigung würde vorliegen.

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Berlin

www.strafverteidiger-fahrerflucht.de

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6 Antworten

  1. vor dem Hintergrund vollkommen korrekt 🙂

  2. Dante sagt:

    Ich sag‘ ja auch nur, dass es für die Frage, ob Verjährung eingetreten ist, nebensächlich ist, ob Mordmerkmale vorliegen.

    Für das Strafmaß dürfte es (mit)entscheidend sein.

  3. @ Dante
    Es stimmt, dass auch die aufgeführten Straftatbestände nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB noch nicht verjährt wären. Fünf Jahre später hätte es dann aber anders ausgesehen.

    In der Praxis wäre das Mordmerkmal eher kein Randproblem, da bei Mord grds. lebenslange Freiheitsstrafe droht. Beim Unterlassen besteht zwar die Möglichkeit einer Minderung gem. § 13 Abs. 2 StGB iV.m. 49 StGB, doch ebend nur die Möglichkeit. Im Vergleich hierzu ist ein Totschlag nicht unter fünf Jahren bis maximal 15 Jahren und eine Aussetzung mit Todesfolge nicht unter drei bis 15 Jahren bedroht.

    Auch finde ich es eigentlich diskussionswürdig, ob eine Verdeckungsabsicht vorliegt, wenn es jemanden nicht darum geht, dass das Unfallopfer verstirbt.

    Für die Verteidigung und die Klausur wäre es tatsächlich von Relevanz, ob der Rechtsanwalt davon ausging, dass das Mädchen noch gerettet werden hätten können. Wenn eine Rettung nicht möglich gewesen wäre, der Anwalt aber gedacht hat, dass eine Rettung möglich gewesen wäre, ist letztlich an den Versuch zu denken.

  4. Dante sagt:

    Naja, die Mordmerkmale sind da doch eher ein Randproblem.

    Auch bei Totschlag durch Unterlassen oder Aussetzung mit Todesfolge (§ 221 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 StGB, wäre die Tat noch nicht verjährt gewesen, weil diese Taten erst nach 20 Jahren verjähren.

    Entscheidend für die Strafbarkeit ist also die Frage, ob der Fahrer wusste, dass das Opfer nach dem Unfall noch lebte. Es müsste sogar reichen, wenn er das nur in billigend in Kauf genommen hat.

    Problematisch wäre dann nur noch, ob das Unterlassen oder im Stich lassen kausal für den Tod war. Mit anderen Worten: War das Opfer noch zu retten. Da sie aber wohl noch vier Stunden lebte, sollte auch das gegeben sein.

  5. MEAN sagt:

    netter Artikel 🙂 gut aufgearbeitet 😉

  1. 9. Februar 2016

    […] Wie strafrechtlich aus einer Fahrerflucht ein Mord werden kann, hatten wir bereits in unserem Tatortbeitrag […]

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