Reform der Tötungsdelikte bedeutet nicht Abschaffung von Mord und Totschlag

Gut ein Jahr nach ihrer Einsetzung hat die Expertenkommission zur Reform der Tötungsdelikte am 29. Juni 2015 ihren rund 900 Seiten starken Abschlussbericht dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz überreicht. Bundesjustizminister Maas hat angekündigt, noch in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf vorzulegen, der eine Neuregelung der Tötungsdelikte (§§ 211 ff. StGB) vorsieht. Die gesamte Debatte sorgt bei vielen Menschen für Verwunderung oder für Unverständnis. Einige befürchten, dass es den Tatbestand „Mord“ in Zukunft nicht mehr geben wird und dass höchst verwerfliche Tötungen zukünftig nicht mehr mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft werden sollen. Dem ist nicht so. Nachfolgend sollen die wichtigsten Punkte der geplanten Reform vorgestellt werden.

Warum sollen die Tötungsdelikte überhaupt reformiert werden?

Der sogenannte Mordparagraph (§ 211 StGB) wurde in seiner gegenwärtigen Fassung im Jahr 1941 ins Strafgesetzbuch geschrieben. Viele Nazi-Juristen haben damals an seiner Einführung mitgewirkt, auch Roland Freisler. Die Formulierung des § 211 StGB: „Mörder ist, wer…“, ist Ausdruck der sogenannten Tätertypenlehre. Diese stellt nicht eine bestimmte Tat in den Mittelpunkt, sondern einen vermeintlichen „Tätertypus“. Die Tätertypenlehre führt zur Anwendung von Gesinnungsstrafrecht und ist unvereinbar mit dem Schuldprinzip. Wenngleich diese Ideologie längst nicht mehr vertreten wird, so stellt der § 211 StGB ein sprachliches Relikt aus jener Zeit dar, welches nun aus dem Gesetz entfernt werden soll.

Die neun Mordmerkmale wurden ebenfalls 1941 eingeführt. Zuvor war ein Mord eine Tötung, welche „mit Überlegung“ ausgeführt wurde. Die Mordmerkmale „Mordlust“, „Habgier“ oder „Heimtücke“ sollten einst Charakterzüge des Tätertypus „Mörder“ kennzeichnen. Der Versuch, die Mordmerkmale nach 1945 ideologiefrei auszulegen, hat die Rechtsprechung vor einige Herausforderungen gestellt. Bis heute wurden immer wieder Feinkorrekturen vorgenommen, um einzelne Mordfälle gerecht beurteilen zu können. Große Unzufriedenheit zeigen auch die Experten bezüglich der Ausgestaltung der Mordmerkmale, gerade in Bezug auf „Heimtücke“ und „aus sonstigen niedrigen Beweggründen“.

Großen Streit gibt es seither auch um das Verhältnis von Mord und Totschlag. Die Rechtsprechung sieht Mord (noch) als eigenständigen Tatbestand an, während die herrschende Lehre den Mord für eine Qualifikation des Totschlags hält. Jurastudenten lernen diesen Streit im Zusammenhang mit der „richtigen“ Anwendung des § 28 StGB. Eine Neuregelung soll nun auch das Verhältnis der Tatbestände verbindlich klären.

Wie sollen die Neuregelungen aussehen?

Es wurden bereits in der Vergangenheit viele Einzelvorschläge für die Neugestaltung der Tötungsdelikte entworfen. Die Mehrheit der Experten hat sich nun dafür ausgesprochen, Mord und Totschlag als Tatbestände beizubehalten und das Stufenverhältnis (Mord als Qualifikation des Totschlags) verbindlich zu machen. Von „Abschaffung“ des Mordparagraphen kann also keine Rede sein. Im Gegenteil wird sich im Gesetz letztlich wohl doch nicht so viel grundlegend ändern, wie einige vielleicht erwartet hatten. Denn auch an den bestehenden Mordmerkmalen sollen nur kleinere sprachliche Änderungen vorgenommen werden. Das Merkmal der Heimtücke soll beispielsweise dahingehend angepasst werden, dass zukünftig von einem „hinterlistigen Angriff“ die Rede ist. Außerdem sollen einige Fallbeispiele für die „niedrigen Beweggründe“ in den Gesetzestext aufgenommen werden.

Soll die lebenslange Freiheitsstrafe abgeschafft werden?

Nein. Die Mehrheit der Experten hat sich für die grundsätzliche Beibehaltung der lebenslangen Freiheitsstrafe bei Mord ausgesprochen. Allerdings soll der sogenannte Exklusivitäts-Absolutheits-Mechanismus aufgegeben werden. Bisher war das Lebenslang die einzige Strafe bei Mord. Das führte in Einzelfällen dazu, dass derjenige, welcher bei der Tötung zumindest ein Mordmerkmal erfüllte, automatisch eine lebenslange Freiheitsstrafe bekam, selbst wenn diese unter Berücksichtigung aller Umstände nicht angemessen erschien. Paradebeispiel dafür sind die sogenannten „Haustyrannenfälle“, bei denen die jahrelang gedemütigte Ehefrau ihren Ehemann (den Haustyrannen) in einem Akt der Verzweiflung heimtückisch tötet (Mord). Die Experten verlangen, dass in derartigen Ausnahmefällen oder in Fällen erheblich verminderten Unrechts oder erheblich verminderter Schuld auch eine zeitige Freiheitsstrafe bei Mord verhängt werden kann. Insgesamt wird die Strafzumessung bei Mord dadurch flexibler.

Wozu der ganze Aufwand?

Man kann sich durchaus fragen, ob sich der ganze Aufwand für diese sich doch eher in Grenzen haltenden Ergebnisse gelohnt hat. Doch muss man auch anerkennen, dass die gut 60 Jahre währende Debatte um die Reform der Tötungsdelikte nun einen neuen Abschnitt erreicht hat. Und der Reformprozess ist hier auch noch nicht abgeschlossen. Mit den Ergebnissen der Expertenkommission wird das Bundesjustizministerium einen konkreten Gesetzentwurf erarbeiten, der dann wiederum erst den Gesetzgebungsprozess durchlaufen kann. Bis zur tatsächlichen Änderung der Tötungsdelikte wird es also noch etwas dauern.

Dass die Reform kommen wird, davon ist gegenwärtig auszugehen. Reformbedarf besteht, das zeigt nicht zuletzt die bereits jahrzehntelang geführte juristische Diskussion um die §§ 211 ff. StGB. Mit der Streichung der tätertypischen Begriffe und der Abschaffung der Absolutheit der lebenslangen Freiheitsstrafe wären die Kernanliegen wohl schon erreicht.

 

Hier findet man den vollständigen Bericht der Expertenkommission.

Hier findet man eine Zusammenfassung des Berichts.

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