Ein gezielter Messerstich in den Brustkorb des Opfers begründet nicht zwingend die Annahme eines direkten Tötungsvorsatz beim Täter

(Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes – in Anlehnung an BGH 3 StR 237/12)

„Wissen und Wollen aller zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden objektiven Merkmale“, so lautet die herrschende Kurzformel, mit der Juristen den für die Strafbarkeit des Täters erforderlichen Vorsatz definieren.

Sie umfasst sowohl ein intellektuelles als auch ein voluntatives Element. Der Täter muss demnach alle Tatbestandsmerkmale kennen, die Verwirklichung des Tatbestandes wollen und die Tathandlung beherrschen. Ob er die Folgen der Tat gutheißt oder sie ihm erwünscht sind, ist für den Vorsatz unbedeutend.

Je nach Ausprägung dieser beiden Elemente ist zwischen verschiedenen Formen des Vorsatzes zu unterscheiden. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der schwächsten Form, dem bedingten Vorsatz (dolus eventualis).

Kompliziert ist seine Beurteilung im Bereich schwerer Gewalttaten, insbesondere bei Tötungsdelikten. In solchen Fällen muss gefragt werden, ob der Tod des Opfers tatsächlich vom Täter vorausgesehen und gewollt wurde oder ob sich sein Vorsatz lediglich auf die Körperverletzung bezogen hat und der Erfolg fahrlässig verursacht worden ist.

Sowohl in Übungs- und Examensklausuren als auch in der Praxis spielt genau diese Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und Fahrlässigkeit eine große Rolle.

Sachverhalt – BGH 3 StR 237/12
Auch der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich erst kürzlich in dem Verfahren 3 StR 237/12 mit der Abgrenzung zu befassen. Zu überprüfen war die Entscheidung des Landgerichts Osnabrück, das den Angeklagten aufgrund des folgenden Sachverhalts wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt hatte:

Der Angeklagte und sein späteres Opfer, die sich zufällig auf der Straße begegneten, gerieten in Streit. Sie kannten einander nicht und waren beide alkoholisiert. Nach dem wechselseitigen Austausch jeweils eines Schlags setzten beide ihren Heimweg zunächst in entgegengesetzte Richtungen fort. Als der Angeklagte dem Geschädigten nachrief „Wir sehen uns noch“, rannte dieser ihm hinterher. Der Angeklagte blieb stehen, holte sein Klappmesser mit einer Klingenlänge von 8-9cm heraus und stach auf sein körperlich geringfügig überlegenes Opfer ein. Der Stich traf den Geschädigten in die linke Brusthälfte. Er verstarb einige Stunden später im Krankenhaus.

Rechtliche Würdigung
Die Handlung des Angeklagten erfüllt ohne weiteres den objektiven Tatbestand des Totschlags, § 212 StGB. Das Landgericht Osnabrück konnte sich hingegen nicht davon überzeugen, dass auch der für die Strafbarkeit erforderliche subjektive Tatbestand gegeben ist. Dazu hätte der Angeklagte zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz (dolus eventualis) auf sein Opfer einstechen müssen.

Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihm abfindet. Ausreichend ist, dass ihm der als möglich erkannte Handlungserfolg gleichgültig ist.

Nach den Ausführungen des Landgerichts war dem Angeklagten zwar die Gefahr bewusst, dass der Messerangriff zum Tod seines Kontrahenten hätte führen können. Der Todeseintritt hat allerdings nicht die innere Billigung des Angeklagten gefunden. Dies ergibt sich nach Ansicht des Gerichts aus dem „nicht von langer Hand“ geplanten Tatentschluss, der alkoholbedingten Enthemmung und der nicht von Aggressionen geprägten Persönlichkeit des Angeklagten. Zudem sei sein einziges Tatmotiv gewesen, weitere Schläge seines Kontrahenten abzuwehren.

Auch den Zusammenbruch des Angeklagten, als er vom Tod des Opfers erfahren hat, wertete das Landgericht als Indiz gegen den Tötungsvorsatz.

Erhöhte subjektive Hemmschwelle
Der BGH bestätigte diese Einschätzungen des Landgerichts und stellte klar, dass bei der Annahme des bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft werden müssen.

Das Vorliegen einer äußerst gefährlichen Gewalthandlung lege zwar den subjektiven Tatbestand sehr nahe, indiziere diesen aber angesichts der hohen Hemmschwelle für die Annahme des Tötungsvorsatzes nicht. Es bedürfe vielmehr einer Gesamtschau aller Umstände, bei der vor allem die psychische Verfassung des Täters und seine Motive einbezogen werden müssen. Diese Umstände habe das Landgericht Osnabrück in einer revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Weise berücksichtigt.

Fazit
Der BGH bestätigte aus den aufgeführten Gründen die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge verwarf die Revisionen des Angeklagten und einer Nebenklägerin. Damit bestärkt er erneut seine eher restriktive Linie bei der Annahme des bedingten Tötungsvorsatzes.

Dass dies nicht allen Beteiligten gerecht erscheint, ist zumindest aus menschlicher Sicht nachvollziehbar. Um allerdings aus rein juristischer Sichtweise den Straftatbestand des Totschlags zu erfüllen, der immerhin mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren bestraft wird, bedarf es nicht nur objektiv den Tod eines Menschen, sondern subjektiv auch das „Wissen und Wollen“ des Taterfolgs beim Täter.

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Anwalt für Strafrecht aus Berlin

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