Die Bezeichnung einer Rechtsanwaltskanzlei als „Winkeladvokatur“ ist nicht zwingend eine Beleidigung

(Darstellung des Beschlusses vom Bundesverfassungsgericht: 1 BvR 1751/12 – 2. Juni 2013)

Im Oktober vergangenen Jahres wurde an dieser Stelle auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Köln vom 18.7.2012- 16 U 184/12 hingewiesen, in der das Gericht die Bezeichnung einer Rechtsanwaltskanzlei als „Winkeladvokatur“ als eine strafbare Beleidigung nach § 185 StGB eingestuft hatte.

Nun brachte die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde des von dem Urteil betroffenen Rechtsanwalts, Herrn Dr. Riemer aus Brühl, die Wende, denn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschied, dass die Bezeichnung einer Rechtsanwaltskanzlei als Winkeladvokatur durchaus von der Meinungsfreiheit gedeckt sein kann. Es hob die vorangehenden Urteile auf und verwies die Entscheidung an das Landgericht zurück.

Der Sachverhalt: Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und beanstandete in einem Schriftsatz einen gegnerischen Rechtsanwalt, der seiner Meinung nach durch einen widersprüchlichen Außenauftritt nicht klar erkennen ließ, ob dieser mit zwei Rechtsanwälten in einer Sozietät oder einer Bürogemeinschaft zusammenarbeite. Seinem Schriftsatz fügte der Beschwerdeführer eine Email an die Rechtsanwaltskammer bei, in der unter anderem diese Passagen zu finden waren:

„Mir persönlich erscheint es daher fragwürdig, wie es die Rechtsanwälte mit ihrer prozessualen Wahrheitspflicht halten, wenn sie dem Gericht gegenüber eine ‚Kooperation‘ behaupten, wo sonst von ihnen allenthalben der Eindruck einer Sozietät zu vermitteln versucht wird.
Ich gehe davon aus, dass es nicht unsachlich ist, eine solche geschickte Verpackung der eigenen Kanzlei – mal als Kooperation, mal als Sozietät (wie es gerade günstig ist) – als ‚Winkeladvokatur‘ zu apostrophieren.“

Das Landgericht verurteilte den Rechtsanwalt daraufhin dazu, es zu unterlassen, den gegnerischen Rechtsanwalt als Winkeladvokaten oder das von ihm geführte Büro als Winkeladvokatur zu bezeichnen, wobei es diese Äußerung als Schmähkritik einordnete. Auch das Oberlandesgericht Köln stützte das Urteil, indem es nach der Durchführung einer Interessenabwägung zu dem Ergebnis kam, dass die Äußerung für den Anlass vollkommen unangemessen und unnötig sei.

Zum Begriff des Winkeladvokaten: Zunächst einmal sei demjenigen, der sich unter diesem nahezu altmodischen Begriff nichts vorstellen kann, Folgendes gesagt: Historisch bezeichnet der Begriff „Winkeladvokat“ eine Person, die ohne Ausbildung Rechtsrat erteilt. Heute ist damit nach Ausführungen des OLG ein Rechtsanwalt gemeint, der eine mangelnde fachliche Eignung aufweist und dessen Zuverlässigkeit zweifelhaft ist. Ferner sei darunter auch derjenige zu verstehen, der sich zwar noch im Rahmen des geltenden Rechts bewege, aber dessen Grenzen in bedenklichem Maße austeste. Dabei sei dem Winkeladvokaten jeder Winkelzug recht, um das für seinen Mandanten günstigste Ergebnis zu erreichen. Es handele sich also um einen gerissenen Rechtsanwalt, der bereit ist, das Recht für den Vorteil seines Mandanten zu verbiegen.

Rechtliche Bewertung des Bundesverfassungsgerichts: Trotz dieser herabsetzenden Bedeutung sieht das Bundesverfassungsgericht die Verwendung des Begriffs jedoch von der Meinungsfreiheit aus folgenden Gründen gedeckt:

Zum einen handele es sich bei der Bezeichnung einer Rechtsanwaltskanzlei als Winkeladvokatur nicht um eine Schmähkritik, da eine solche voraussetzen würde, dass nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund stünde. Dies könne im zu behandelnden Fall jedoch nicht angenommen werden, da der Äußerung ein Sachbezug entnommen werden könne.
Zum anderen müsse bei einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von der Äußerung Betroffenen berücksichtigt werden, dass die Äußerung zunächst lediglich gegenüber der Rechtsanwaltskammer getätigt wurde und auch im Zivilprozess nur von dem Gericht, sowie den Prozessbeteiligten wahrgenommen werden konnte.

Des Weiteren führt das BVerfG an, dass die bloße „Unangemessenheit“ und „Unnötigkeit“ einer Äußerung nicht ausreicht, um Rechtsschutz gegenüber Prozessbehauptungen auszulösen. Vielmehr sei dieser erst gegeben, wenn „die Unhaltbarkeit einer Äußerung auf der Hand liegt oder sich ihre Mitteilung als missbräuchlich darstellt“. Überdies müsse beachtet werden, dass der Vorwurf des Winkeladvokaten lediglich die Sozialsphäre des Rechtsanwalts betreffe, weil er ausschließlich eine Herabsetzung in der beruflichen Ehre mit sich bringe. Und auch im Interesse des Schutzes der Meinungsfreiheit betont das Bundesverfassungsgericht, dass der Rechtsgüterschutz auf das unbedingt Erforderliche beschränkt werden muss. Dabei stellt es klar, dass die Meinungsfreiheit nicht den Zweck hat, die Angemessenheit einer Äußerung zu gewährleisten, sondern erst dort einzugreifen, wo es für ihre Wahrung unerlässlich ist.

Wir dürfen also gespannt sein, wie das Landgericht nach den deutlichen Worten des BVerfG über die Bezeichnung einer Rechtsanwaltskanzlei als Winkeladvokatur in dieser Fallkonstellation entscheiden wird.

Rechtsanwalt Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht aus Berlin

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