BGH: Keine Abhängigkeit der Beschuldigteneigenschaft von dem konkreten Tatverdacht des sachbearbeitenden Kriminalkomissars

Was es eigentlich bedeutet, Beschuldigter im Sinne der Strafprozessordnung zu sein, lernen Studenten schon in der ersten Vorlesung zum Strafprozessrecht. Im Studium noch unterschätzt, gewinnt der Beschuldigtenbegriff in der Praxis dann ganz besondere Bedeutung. Denn hat eine Person den Status des Beschuldigten inne, so gehen damit, neben den Rechten des Beschuldigten selbst, vor allem Pflichten der Strafverfolgungsbehörden einher.

Eine der wichtigsten Pflichten ist die Belehrungspflicht nach § 163 a Abs. 4 S. 2 i.V.m. § 136 Abs. 1 StPO. Danach muss dem Beschuldigten bei Beginn der ersten Vernehmung eröffnet werden, welche Taten ihm zur Last gelegt werden und dass er sich nicht zu der Beschuldigung äußern muss. Wird diese Belehrung nicht vorgenommen, so darf die Aussage des Beschuldigten nicht verwertet werden. Dies zeigt, was für eine große Rolle es spielt, ob eine Person als Zeuge oder als Beschuldigter qualifiziert wird.

In einem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 30. Dezember 2014 – 2 StR 439/13, indem es unter anderem um die Frage der Verwertbarkeit einer vor der Polizei gemachten Aussage von einem der Angeklagten ging, musste sich dieser erneut mit dem Begriff des Beschuldigten auseinandersetzen. Dabei kam er zu einer anderen Auffassung als das zuvor mit der Sache befasste Landgericht Magdeburg.

Zum Begriff des Beschuldigten führte der BGH zunächst allgemein aus, dass die Beschuldigteneigenschaft zweierlei voraussetzt. Zum einen muss gegen den Betroffenen objektiv ein Tatverdacht bestehen. Zum anderen muss die Strafverfolgungsbehörde den Betroffenen aber auch subjektiv als Beschuldigten verfolgen wollen. Ein solcher Willensakt liegt unproblematisch vor, wenn gegen eine Person ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Nach ständiger Rechtsprechung kann einer Person aber auch konkludent die Rolle des Beschuldigten zugewiesen werden. Dies ist der Fall, wenn die Ermittlungsbehörde eine Maßnahme trifft, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild darauf abzielt, gegen jemanden strafrechtlich vorzugehen.

Nach Ansicht des BGH liegt eine solche Maßnahme dann vor, wenn eine Ermittlungshandlung darauf gerichtet ist, den Vernommenen als Täter einer Straftat zu überführen. Wie der Ermittlungsbeamte sein Verhalten hingegen rechtlich bewertet, sei nicht von Bedeutung. Dies gilt nach den Ausführungen des BGH etwa dann, wenn die Behörde schon mit einem Auskunftsersuchen an anderen Behörden, wie hier das Jugendamt, herangetreten ist, um weitere Verdachtsmomente gegen die beschuldigte Person zu suchen.
Damit erteilte der BGH dem Landgericht Magdeburg eine klare Absage, das bei der Beschuldigteneigenschaft entscheidend darauf abstellte, ob der sachbearbeitende Kriminalkomissar von einem konkreten Tatverdacht ausgeht oder nicht. Das Landgericht hatte näher ausgeführt, dass Ermittlungen, die ergebnisoffen und zur Klärung der Verdachtslage geführt werden, noch nicht dazu zwingen, die vernommene Person in den Status eines Beschuldigten zu versetzen. Vielmehr solle sich der zunächst fehlende Verfolgungswille erst durch die Abgabe der Sache an die Staatsanwaltschaft manifestieren. Denn insofern sei entscheidend, dass der sachbearbeitende Kriminalkomissar noch nicht von einem konkreten Tatverdacht ausgeht.

Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht

 

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Eine Antwort

  1. BGH, Urt. v. 30.12.2014 – 2 S t R 4 3 9 / 1 3

    In dieser Entscheidung setzt sich der BGH mit den Voraussetzungen zur Beschuldigteneigenschaft und der damit einhergehenden Belehrungspflichten auseinander. Im Ermittlungsstadium wurde zwar gegen letztere verstoßen und das Landgericht hat – im 2. Urteil – gegen das hieraus folgende Verwertungsverbot verstoßen; gleichwohl beruhte die erneute Verurteilung des Angeklagten hierauf nicht. Entsprechend wurde auch seine Revision verworfen.

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