Aufhebung des Haftbefehls

Zusammen mit dem Kollegen Rechtsanwalt Dr. Nöding habe ich einen Mandanten vor dem Landgericht Berlin wegen des Vorwurfs des versuchten Mordes verteidigt.

Unserem Mandanten wurde vorgeworfen, dass er mit einem Messer heimtückisch dem vermeintlich Geschädigten in den Kopf gestochen haben soll. Hierbei ist die Klinge an der Spitze abgebrochen und mussste aus dem Kopf herausoperiert werden.

Heute musste unser Mandant aufgrund der Beweislage freigesprochen werden, § 260 StPO, § 261 StPO. Während der Beweisaufnahme gem. § 244 StPO konnten wir darlegen, dass es erhebliche Widersprüche in den Aussagen des vermeintlich Geschädigten gab.

Hierbei nutzten wir insbesondere die Möglichkeit der Erklärung gem. § 257 Abs. 2 StPO. Es war für uns vorteilhaft, dass der vermeintlich Geschädigte an einem Verhandlungstag als letzter Zeuge vernommen wurde. Es war uns deshalb möglich, eine umfangreiche schriftliche Erklärung bis zum nächsten Verhandlungstag vorzubereiten. Eine Erklärung gem. § 257 StPO kann nur bis zum Aufruf des nächsten Zeugen abgegeben werden.

Im Gegensatz zum vermeintlich Geschädigten gab unser Mandant dagegen widerspruchsfrei an, dass er aus Notwehr gem. § 32 StGB gehandelt hat. Unserem Mandanten wurde mit einem Messer in die Lunge gestochen, so dass ein Lungenflügel eingefallen ist.

Eines der wichtigsten Kriterien bei der Aussageanalyse ist die Konstanz der Aussage im Verlauf des Verfahrens. Dieses Kriterium erfüllte der vermeintlich Geschädigte im Gegensatz zu unserem Mandanten nicht.

Eine Besonderheit war dem Freispruch vorausgegangen. Bereits am vorhergehenden Verhandlungstag hatte das Gericht zutreffend den Haftbefehl aufgehoben, weil es nicht mehr den dringenden Tatverdacht gem. § 112 StPO annehmen konnte.

Regelmäßig lässt sich ein Gericht vor der Urteilsverkündung nicht so offen in die Karten schauen. Ich gehe davon aus, dass die meisten Spruchkörper am Landgericht Berlin den Haftbefehl in rechtswidriger Weise nicht vor der Urteilsverkündung aufgehoben hätten.

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Berlin

Das könnte dich auch interessieren …

2 Antworten

  1. Lieber Herr Kollege Hoenig,

    ich hatte es wohl nicht ganz deutlich herausgearbeitet.

    Für uns war von Vorteil, dass es sich beim vermeintlich Geschädigten um den letzten Zeugen an einem Sitzungstag handelte. Die nächste Zeugenvernehmung sollte erst am folgenden Sitzungstag erfolgen.

    Das Erklärungsrecht nach § 257 StPO bezieht sich nur auf die vorhergehende Vernehmung. Abgeleitet aus „Nach“. Solange noch nicht ein weiteres Beweismittel genutzt wurde, kann eine 257 Erklärung abgegeben werden.

    Deshalb benötigten wir nicht die „Genehmigung“ des Gerichts, am nächsten Tag erst die Erklärung abzugeben. Unsere Erklärung wurde vor Aufruf des nächsten Zeugens abgegeben und war deshalb innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 257 StPO.

    Wäre noch ein Zeuge unmittelbar nach dem vermeintlich Geschädigten zu vernehmen gewesen, hätten wir voraussichtlich mit dem von Ihnen vorgetragendem Grund der Unterbrechung der Hauptverhandlung auf eine Erklärung am nächsten Verhandlungstag bestanden. Hierfür wären wir aber auf das Wohlwollen des Gerichts angewiesen gewesen.

    Durch die zeitliche Verschiebung in den nächsten Sitzungstag hatten wir zunächst den Vorteil, dass wir die Erklärung nicht per Hand schreiben mussten, was bei meiner Handschrift für die anderen Beteiligten jedesmal eine Zumutung ist.

    Darüber hinaus stand uns für die Vorbereitung der Erklärung deutlich mehr Zeit zur Verfügung, als wenn wir sie noch am gleichen Sitzungstag hätten abgeben müssen.

  2. Eine Erklärung gem. § 257 StPO kann nur bis zum Aufruf des nächsten Zeugen abgegeben werden.

    Diese zeitliche Begrenzung gibt der Wortlaut (auch des Abs. 3) nicht her. Meine Erfahrung ist, daß die Verteidigung auch zu Beginn des nachfolgenden HV-Termins Gelegenheit zu einer 257er-Erklärung bekommt, wenn sie nach der Vernehmung angekündigt wurde.

    Falls das Gericht sich sperren sollte, könnte man eine Unterbrechung der Verhandlung beantragen „zur Vorbereitung einer unaufschiebbaren Erklärung“ und Gerichtsbeschluß beantragen, falls auch dieser Antrag abgelehnt würde. Spätestens dann bekommt man die Möglichkeit, auch am Folgetag „zu erklären“.

    Ich hatte in meinen Verfahren bislang diesen Umweg noch nicht nötig.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert